Wanderfahrt ins Paznauntal

27. August bis 5. September 2019

…und täglich rauscht die Trisanna!

Diesen Titel hat Helga Palm der diesjährigen Wanderfahrt in Österreichs Bergwelt gegeben. Sie hat - wie schon so viele Jahre – für uns gearbeitet, Touren ausgesucht und Alternativen dazu, falls das Wetter anderes für uns bereithalten sollte. Aber das schon mal vorweg: Das Wetter hat überwiegend mitgespielt!

Bahn und Bus sind vorgesehen, unser Basishotel in A-6555 Kappl zu erreichen.

Voraussetzung für die Teilnahme ist Trittsicherheit und eine gute Kondition für Wanderungen von ca. 5 Stunden Gehzeit und bis zu 1.000 m Auf-/Abstieg.

Unser Ausgangsort Kappl (1.258 m ü. NN) ist ein echtes Tiroler Dorf. Es liegt auf einer Sonnenterrasse des Paznauntals, abseits der Hauptstraße und – siehe oben – tief unten rauscht die Trisanna dem Inn entgegen. Das Paznauntal wird im Süden begrenzt von der Silvretta- und Samnaungruppe, im Norden von den Gipfeln der Verwallgruppe.

Schon früh um 4.57 Uhr  - mit 12 Minuten Verspätung - starten wir vom Kieler Hauptbahnhof, bekommen alle Anschlusszüge in München, Innsbruck und Landeck und auch den Postbus, mit dem wir dann unser „Hotel Post“ um 18 Uhr erreichen. Wir, das sind 12 Personen in Erwartung einer schönen gemeinsamen Zeit.

Unser erster Morgen

dort begrüßt uns mit Sonne! Die Seilbahn „Dias“ sorgt dafür, dass wir erst einmal mühelos direkt vom Ort Kappl auf eine Höhe von 1.830 m gelangen. Von dort geht es dann natürlich auf eigenen Füßen weiter. Zwei Wege stehen zur Auswahl. Zum Eingewöhnen an das Bergaufgehen ein Wirtschaftsweg und der interessantere Weg, ein Steig bieten sich an. Die Gruppe teilt sich und findet auf einer Höhe von 2.119 m im „Almstüberl“ wieder zusammen. Unterwegs Freude über so viel Blühendes auf den Wiesen. Arnika, Teppiche von Augentrost, das leuchtende Blau des Eisenhuts und vieles andere … „Wie heißt diese Pflanze doch noch?“ Dieser Satz begleitet das nicht immer gelingende Erinnern. Der erste Wandertag endet in einem Café im Tal. Wir schauen zufrieden auf 352 m aufwärts und 914 m abwärts zurück. Die lächerlichen 8,7 km Wegstrecke sind in den Bergen ja sowieso nicht aussagekräftig.

Für den folgenden Tag

sagen die unterschiedlichen Wetter-Apps unterschiedliches Wetter voraus. Wir entscheiden uns, der Hotel-Prognose zu glauben, die „ab 12 Uhr Regen und Gewitter“ ansagt und wählen deshalb einen Talweg: Mit dem Bus nach Ischgl und von dort per pedes zurück nach Kappl. Der „Einstieg“ in diesen Weg heraus aus der „Touristenhochburg“ ist nicht so leicht zu finden. Auf langer Strecke ein Asphaltweg durch das hier stark bebaute Tal in ziemlichem Abstand zur Trisanna. Umso schöner dann die grünen Wegabschnitte – Gelenke und Seele freuen sich! Ein Parasolpilz am Wegesrand begeistert mit seinem großen Schirm mit einem Durchmesser von ca. 25 cm. Der angekündigte Regen kommt, aber erst 1 ½ Stunden später als angesagt und das Gewitter auch erst, als wir längst (nach 11 km) wieder im Hotel sind.

Dritter Tag,

Freitag, der 30. August. Um 9.17 bringt uns ein knallvoller Bus zur Bieler Höhe am Silvretta Stausee, 1 Stunde Kurvenfahrt (für ca. die Hälfte der Fahrgäste stehend – umfallen kann keiner, Rucksäcke beengen zusätzlich und Wanderstöcke werden zu gefährlichen Gegenständen). Erstaunlich, dass dann kein Gänsemarsch am Stausee entlang entsteht – andere wollen eben auch woanders hin. Am Ende des Sees beginnt der leichte Aufstieg zur „Klostertaler Hütte“ (229 Hm). Die Sonne hatte sich bereits am frühen Morgen mit den schön beleuchteten Bergspitzen angekündigt. Sie meint es weiterhin gut mit uns. Es ist warm – der Schotterweg mal moderat geradeaus, mal ansteigend – dann ist es SEHR warm. Aber wir wollen uns doch auch anstrengen! Und mitten in der schönen Bergwelt ist auch das Schwitzen schön! Die Klostertaler Hütte (DAV) liegt 2.366 m hoch. Sie ist nicht bewirtschaftet, bietet aber Schutz und auch die Möglichkeit im Notfall (einfachst!) zu übernachten. Ein kühler Wind hier oben erfrischt uns in halbstündiger Pause mit herrlichem Blick rundum, später beim Abstieg auch wieder auf den Silvretta Gletscher. Dieser Tag schlägt mit „611 Hm rauf und 580 Hm runter“ zu Buche und mit schönen Bildern im Kopf. Und er endet in unserem Dorf mit Blasmusik. Die heimische Blaskapelle spielt auf unter freiem Himmel, ein Sommerabend!

Samstag, 31. August

Unser heutiges Ziel ist das Ischgl-Samnaun-Areal. Der Linienbus bringt uns zur Silvretta-Seilbahn in Ischgl und weiter geht‘s in die Höhe von 2.752 m mit einem Sessellift, der Flimjochbahn.

Die schöne Bergwelt im Sonnenlicht zieht uns in ihren Bann. Die Wege hier oben sind allerdings geprägt durch den Wintersport – wir wandern auf breiten Skipisten vorbei an den skurrilen Skikanonen. Aber ohne diese Sportnutzung hätten wir wohl nicht die bequeme Möglichkeit gehabt, herauf zu „fliegen“. Freuen wir uns also an dem, was das Auge bietet! Ein kleines „highlight“ liegt sozusagen am Wegesrand: die Greitspitze, der höchste Berg der Silvretta-Arena, 2.872 m hoch.

Von unserem Standpunkt liegen nur ca 120 Hm vor uns, um auf ihren Gipfel zu gelangen. Das nehmen vier Personen von uns wahr – schon auch mit gebührender Achtung, denn so ganz ohne ist der Aufstieg nicht. Bereits der Einstieg zeigt uns, dass Konzentration und Geschicklichkeit angebracht sind. Eine kurze Strecke ist mit Seil gesichert; dort, wo es plötzlich fehlt, sorgt Werner per Hand für unsere Sicherheit. Vor dem letzten Ende werden Rucksäcke und Stöcke abgelegt, sodass wir zu Vierfüßlern werden können. Am Gipfelkreuz angekommen - Freude! So ganz schnell wollen wir dieses Gefühl und die Aussicht nicht verlassen. Wieder „unten“ können wir Kletterer beobachten, die die Greitspitze auf ihrer anderen Seite über einen langen Klettersteig erobern.

Nach längerem Auf und überwiegend Ab auf den Pisten erreichen wir die Videralp Hütte auf der Höhe von 2.250 m. Immer wieder schön, dann einkehren und bestellen zu können, was Durst und Hunger gerne hätten.

Drei Männer unserer Gruppe gönnen sich derweil eine Lift- und Gondeltour ins Samnaungebiet, hinweg über die Grenze zwischen Österreich und Schweiz. „Schmuggeltour“ wird diese Tour genannt – aber unsere Drei kommen ohne Rolex und Parfum zurück.

Der 1. September

zeigt sich so sonnig wie die vorhergehenden Tage. Glück muss man haben. Und glücklich macht uns dann auch der herrliche Wanderweg zur Niederelbe Hütte. Wir erreichen ihn mit der Diasalp Seilbahn und der Alblittbahn, einem Sessellift, beginnen also in der angenehmen Höhe von bereits 2.300 m.

Der in jeder Weise herrliche Wanderweg zieht sich überwiegend am Berg entlang mit nur geringen Auf- und Abstiegen. Der Weg selbst hält uns frisch durch seine unterschiedliche Beschaffenheit und die damit verbundenen Anforderungen. Mehrfach sind Gesteinsfelder zu überqueren, die zwar nicht anstrengen aber Konzentration bei jedem Schritt erfordern.

Das Auge erfreut sich an der grünen Landschaft mit interessanten Gesteinsformationen und Bergblumen, an dem herrlichen Panorama und an dem freundlichen Himmelslicht. Den Anstieg zur Niederelbe Hütte mag Helga ihrem Körper nicht mehr zumuten. Sie bleibt bei der heute unbewirtschafteten Oberen Seßladalpe  und kann uns später berichten, dass sie dort trotzdem gut versorgt wurde mit Getränken und mit „Geschichten“. Zwei Jäger hatten ihr ein gerade erlegtes Murmeltier gezeigt und erzählt, was man früher damit angefangen hatte und dass die Tiere auch heute noch gegessen werden. Das Fett dient als Medizin – innerlich und äußerlich anzuwenden. Abends im Hotel wissen wir dank der Technik, die einige von uns mit sich führen, dass wir 12 km gewandert sind, 300 Hm  aufwärts und 700 Hm abwärts. Ich weiß jetzt, dass es meine schönste Wanderung in diesem Jahr war.

2. September

– mit dem Bus bis zum Ort See, dann mit der Medrigalm-Bahn in eine Höhe von 1.800 m. Es erweist sich, dass wir nicht wie erhofft oberhalb der Nebeldecke ankommen. Unsere Wanderung bleibt eine Nebelwanderung und die „Versingalm“ beendet die Wanderung mit einer netten Einkehr und einer freundlichen Bäuerin, die uns Geschichten erzählt über ihre Kühe, deren persönliche Eigenarten und deren Klugheit und über die Vorbereitungen für den Almabtrieb. Unser eigentliches Ziel, die „Ascherhütte“, können wir wegen schlechter Wegverhältnisse nicht erreichen. Der Weg ist gesperrt; es hatte in der Nacht stark geregnet. Dafür bietet der Ort im Tal dann für einige von uns eine Einkaufsmöglichkeit für herabgesetzte Wanderkleidung.

Die in unserem Ort Kappl täglich vor dem Sportgeschäft zum Verleih präsentierten E-Bikes hatten Christian und Gisela gereizt, sie einmal auszuprobieren. Sie haben diesen Schlecht-Wetter-Tag dafür gewählt, sind 25 km bis zum Zeinis-See gefahren, haben Spaß gehabt und sind gut nass geworden.

Dienstag, der 3. September,

wartet wieder mit sonnigem Wetter auf. Da kann die gemütliche Tour zum Kopssee nur gelingen. Mit dem Bus nach Galtür (1.600 m), weiter mit der Almkogelbahn auf die Höhe von 1.983m. Über das Zeinisjoch zur Verbella Alm. Nach netter Einkehr auf anderem Weg wieder abwärts zum Kopssee. Für unsere Statistk: Aufstieg 270 Hm, Abstieg 400 Hm. Für unser Gemüt: Ein schöner Tag mitten in der Bergwelt!

Unser LETZTER Tag hier,

der 4. September. Da macht sich schon beim Frühstück bei einigen Wehmut breit. Die Aussicht auf noch einmal einen ganzen Tag wandern hilft aber nach vorn ins JETZT. Wir wollen ins Lareintal, wandernd am Gletscherbach uns an der Schönheit des Gletschers erfreuen. Ein langer Asphaltaufstieg läge nach der Busfahrt vor uns. Das möchten wir vermeiden. Deshalb haben wir uns schon am Abend vorher darauf geeinigt, die Strecke per Taxi zu überwinden. Zwei bestellte Taxen erwarten uns wie vereinbart an der Bushaltestelle „Wildtierpark“ (Richtung Kappl/Galtür). Sie bringen uns ins Lareintal zum Beginn des Wanderweges. Es ist kalt, + 4 Grad , die Sonne steht noch hinter dem Berg, es ist auch noch nicht so richtig hell. Der Gletscherbach rauscht eilend zu Tal. Der Lareinferner liegt weit vor uns. Bald wird er von der Sonne beleuchtet und ..... diejenigen, die bereits einmal vor ein paar Jahren hier waren, erkennen, dass er gewaltig abgeschmolzen ist. Das Bergmassiv mit dem Gletscher darinnen strahlt immer noch Erhabenheit und Schönheit aus. In unseren Köpfen wird umso bewegter unser Wissen um die Klimaveränderung wach. Die Kürze des Zeitraums, in dem dieses Geschehen hier stattgefunden hat, drängt sich zusätzlich auf. Wir kommen dem Gletscher näher, aber nicht so nahe, wie wir es vorhatten: Ein Schild weist uns auf die Sperrung des Weges hin; ein Bergsturz macht ein Weiterkommen unmöglich. Schade! Erneut wird uns die Macht der Natur und auch ihre Verletzlichkeit deutlich. Und WIR  in unserer Geschöpflichkeit? Eingebunden in die Natur – als Gestalter mit der Aufgabe; die Schöpfung zu bewahren – wie klein sind wir, und doch wirkungsvoll, negativ und positiv. Die Notwendigkeit, den aktuell diskutierten Krisen mit positivem Handeln zu begegnen, wird hier wie an vielen anderen Orten und für viele andere Bereiche erfahrbar.

Am 5. September beginnt unsere Rückreise früh morgens per Taxi und weiter per Bahn um 7.31 Uhr ab Landeck-Zams. Um 19.55 Uhr erreichen wir ohne Störungen den Kieler Hauptbahnhof.

Das Leben ist schön! Wir haben es genossen, als Gruppe wandernd unterwegs und in Gesprächen untereinander. Wir danken Helga für ihren Einsatz für uns, für ihre kundigen Führungen!

Dörte Vieth (Text), Birgitt Hesse (Fotos) und Silke Seemann (Fotos)