Kontraste - Karger Fels und Blütenpracht

Eine Hüttentour durchs Steinerne Meer und das Berchtesgadener Land

Im September 2002 saßen Martin und ich auf der Mittelspitze des Watzmanns und genossen bei bestem Wetter eine beeindruckende Aussicht. Unser Blick fiel auch auf eine ganz besonders aussehende Gebirgslandschaft, das Steinerne Meer, das auf uns einen ganz eigenen Reiz ausübte. „Da möchten wir auch mal hin“, war unser Gedanke. Heuer im August, 2 Jahre später, führt uns eine Hüttentour mit der Bergwandergruppe in dieses einmalige Gebiet.

Wimbachgriesbrücke (625 m) - Wimbachgrieshütte (1.326 m)

auf: ca. 700 m, Länge: ca. 8 km, Dauer: ca. 3 Stunden

11.45 Uhr  Treffpunkt vor dem Bahnhof Berchtesgaden. Es treffen sich Katrin, Susanne, Kay, Martin und Dagmar, die aus unterschiedlichen Richtungen kommend mit der Bahn oder dem Auto angereist sind. Um 12.13 Uhr besteigen wir den Bus Richtung Ramsau/Hintersee und verlassen ihn an der Wimbachbrücke. Hier, auf 625 m Höhe, beginnt unsere eigentliche Tour. Es ist ungefähr 12.30 Uhr, als wir bei schönstem, sehr heißen Wetter den Fußmarsch beginnen. Auf den ersten Metern begleitet uns der Wimbach zur linken Hand, später wird er unterirdisch unter dem Gries verlaufen. Zunächst führt uns der gut begehbare, breite „Kurweg“ (Originalton Kay) durch schattige Passagen zum Wimbachjagdschlößchen (931 m), das 1784 vom letzten Fürstprobsten von Berchtesgaden , Joseph Conrad von Schroffenberg, erbaut wurde. Dann verläuft er zum Glück bei zunehmender Bewölkung durchs Gries, einem hellen Gesteinsschutt, über dem die Hitze steht. Neben der Wimbachklamm am Talausgang, die man optional auf diesem Weg durchqueren kann, ist der zum Teil über 300 Meter mächtige und mehr als 10 km lange Schuttstrom das prägende Landschaftselement. Dieser Schuttstrom ist ständigen Veränderungen unterworfen. Da das Regenwasser bei starken Regenfällen nicht mehr versickern kann, fließt es oberflächlich ab, einzelne Bereiche des Schuttstromes geraten in Bewegung und es bilden sich neue Vertiefungen, Rinnen, Böschungen. In der Klamm werden die talwärts transportierten Gesteinsbruchstücke durch die Einwirkungen des Wassers zerkleinert. So verlassen ca. 4500 Tonnen aufgearbeiteten Materials jedes Jahr das Tal. Nach drei Stunden Aufstieg erreichen wir die Wimbachgrieshütte, eine Privathütte der Naturfreunde, die auf 1.326 m Höhe liegt. Diese ist vollbelegt (14 Betten, 65 Lager), aber wir haben zum Glück durch vorherige Warnung reserviert, so daß wir unsere Lager beziehen können. Auf der Hütte werden wir bei der hier üblichen Halbpension bestens verpflegt und können sogar bei beginnender Dämmerung zwei Füchse, eine Fähe mit einem ihrer Jungen, beobachten, die der Hütte einen Besuch abstatten.

Wimbachgrieshütte (1.326 m) - Ingolstädter Haus (2.119 m)

auf: ca. 1100 m, ab: ca. 300 m, Länge: ca. 6,5 km, Dauer: ca. 6 Stunden

Nach einem ansprechenden Frühstücksbüfett brechen wir um 8.15 Uhr von der Hütte auf. Zunächst gehen wir noch im Schatten, es wird später wieder sonnig werden. Der Weg führt zunächst wieder durchs Gries, im weiteren Verlauf wird es dann grün. Durch die lange kalte Witterung in diesem Jahr hat sich die Vegetationszeit um vier Wochen und mehr nach hinten verschoben und so haben wir das Glück, ungewöhnlicherweise noch im August stengellosen Enzian, Schusternagel (Frühlingsenzian), Alpenrosen, Gold - Pippau und viele andere wunderschöne Alpenpflanzen bestaunen zu können. Wir überqueren den Trischübel. Durch üppiges Grün wandernd durchqueren wir schließlich ein Latschenfeld, in dem wir tatsächlich einen „Latschen“ finden, den wir in der Vermutung mitnehmen, daß er einem Gruppenmitglied der vor uns gehenden Gruppe gehört. Die Vermutung soll sich später bestätigen und zu einer „Latschenrunde“ auf der Hütte führen. Der Weg wird felsiger und birgt durchaus leichte Kletterpassagen. Viele Dolinen liegen am Weg, trichterförmige Vertiefungen, die in das Kalkgestein gewaschen wurden. Schließlich steigen wir unerwartet tief ab, um dann wieder zur Ingolstädter Hütte auf 2.119 m aufzusteigen, die wir gegen 14.15 Uhr erreichen. Dieser erste „richtige“ Tourentag war doch so anstrengend, daß alle auf weitere Gipfelstürme auf den Großen Hundstod, mit 2.594 m Höhe der dort beherrschende Berggipfel, oder die Schindelköpfe (2.357 m) verzichten. Inzwischen befinden wir uns im „Steinernen Meer“. Hier ist das Wasser knapp. Die Hütte wird durch das Anzapfen eines weiter entfernt liegenden Schneefeldes mit Wasser versorgt. Daß Wasser hier oben Mangelware ist, macht sich auch darin bemerkbar, daß es zum Waschen (natürlich kalt) nur tröpfelnd aus den Hähnen kommt. Nach der spärlichen Wäsche sitzen wir noch gemütlich bei Hüttenmusik - ein Gast hat seine Mundharmonika dabei - zusammen.

Ingolstädter Haus (2.119 m) - Riemannhaus (2.177 m)

auf: ca. 500 m, ab: ca. 500 m, Länge: ca. 5-6 km, Dauer: ca. 3,5 Stunden

Nach unserem Selbstversorgerfrühstück starten wir gegen 8.15 Uhr unseren Tourentag. Der Weg durch das Steinerne Meer ist gut markiert und verläuft im leichten „auf und ab“. Wieder ist es heiß und trocken. Auf diesem Teilstück des Weges fallen uns die ersten „Huftritte“ auf, Muschelquerschnitte aus längst vergangenen Tagen, die auf dem ehemals flachen Meeresbereich ihre Spuren hinterlassen haben. Ihrem typischen Aussehen verdanken sie die Bezeichnungen „Hirschtritte“ oder „Kuhtritte“. Gegen 12.00 Uhr gelangen wir zum Riemannhaus. Die Hütte auf 2.177 m Höhe ist sehr schön am Sommerstein (2.308 m) gelegen. Dieser wird nach einer kurzen Rast von Susanne, Katrin und Kay in Angriff genommen, während Martin und ich die Schönfeldspitze (2.653 m) erklimmen, am Gipfel erwartet von einem eindrucksvollen Gipfelkreuz in Form einer Madonnenfigur mit dem gekreuzigten Jesus Christus in den Armen. Außerdem können wir von hier den ersten Blick auf den Königssee genießen. Abends blicken wir von der Hütte auf die Lichter von Saalfelden hinab. Wer keine „Ohrstöpsel“ benutzt, kann beim Einschlafen dem Klang von Gitarrenmusik und Gesang lauschen.

Riemannhaus (2.177 m) - Kärlinger Haus (1.630 m)

auf: ca. 100 m, ab: ca. 650 m, Länge:  ca. 5 km, Dauer:  ca. 4 Stunden

Wir verlassen das Riemannhaus gegen 8.30 Uhr wieder bei Sonnenschein. Wir haben den Weg durch das Viehkogeltal zum Kärlinger Haus gewählt. Wir genießen eine sehr interessante Tour über weite Felsplateaus und finden immer wieder „Huftritte“. Noch nie ist es mir so gegenwärtig gewesen, über ehemaligen Meeresboden zu gehen. Fels, Fels, Fels, das Grau hin und wieder durchbrochen von einem Rotton - Alpenrosen. Woher nur nehmen die Pflanzen das notwendige Wasser? Nirgends sieht man es aus dem Fels sprudeln, nur selten eine Pfütze Schmelzwasser. Dieses Teilstück des Tages ist weglos und wir wandern von Markierung zu Markierung, die gut zu finden sind. Allerdings ist von diesem Weg sicherlich bei Nebel abzuraten. Am Rotwandl vorbei steigen wir hinab in das Viehkogeltal. Hier liegen einige Restschneefelder, die wir teilweise überqueren müssen. Je tiefer wir in das Tal steigen, desto üppiger wird wieder der Bewuchs um uns herum: Storchschnabel, weißer Germer und andere, teilweise brusthohe Pflanzen, ein kaum faßbarer Kontrast zum erlebten Grau der letzten zwei Tage. Gegen 12.45 Uhr erreichen wir das Kärlinger Haus, auch Funtenseehaus, auf 1.631 m Höhe, sorgen zunächst wieder für genügend Flüssigkeit und genießen dabei einen Blick auf den Funtensee und das dahinterliegende Schottmalhorn. Das Wasser fließt - wenn auch kalt - wieder reichlicher. Die Wettervorhersage des Hüttenwirtes vom Riemannhaus ist übrigens perfekt: es fängt gegen 14 Uhr an zu regnen.

Kärlinger Haus (1.630 m) - Gotzenalm (1.685 m)

auf: ca. 900 m, ab: ca. 700 m, Länge: ca. 15 km, Dauer: ca. 9,5 Stunden

Ein langer Tag steht uns bevor. Wir starten um 7.20 Uhr und werden 9,5 Stunden in der Sommerhitze gehen. Zunächst geht es die Himmelsleiter hinab zum Grünsee. Durch den Regen des letzten Tages sind die Tritte rutschig, die Feuchtigkeit steigt hoch und so beginnen wir diesen Morgen in einem geheimnisvollen Licht. Der Pfad führt an alten Bäumen und verwunschenen Seen entlang. Gegen 11.30 Uhr erreichen wir die Wasseralm (1.416 m) und tanken hier erst einmal Flüssigkeit in Form von Apfelschorle auf. Weiter geht es auf der nächsten Etappe bis zur Gotzenalm (1.685 m, privat). Der heutige Weg umgibt uns wieder mit Grün, den kargen Fels haben wir hinter uns gelassen. Es gibt einige Stellen auf der Strecke mit wunderbaren Ausblicken auf den Königssee und den Obersee. Ein stetes „hoch und runter“ fordert Kräfte. Hinter jeder Kehre vermuten wir zum Schluß unser Ziel, aber es zieht sich. Angekommen gibt es erst einmal viel zu trinken, ein Russenmaß für Katrin und Martin, viel Radler und Apfelschorle für uns andere. Die gemütliche Alm liegt phantastisch. Wir genießen einen weiten Blick über das Steinerne Meer und den Watzmann und können so noch einmal aus der Ferne einen Großteil der Tour verfolgen. Abends ein Genuß ganz anderer Art: Wetterleuchten, gefolgt von Gewitter und Windböen, die das Lager noch gemütlicher erscheinen lassen.

Gotzenalm (1.685 m) - Carl v. Stahl-Haus (1.733 m)

auf: ca. 680 m, ab: ca. 620 m, Länge: ca. 7 km, Dauer: ca. 4 Stunden

Morgens regnet es noch immer, aber nach längerem Liegen und einem ausgiebigen Frühstücksbüfett verziehen sich die Wolken. Als erstes laufen wir die Aussichtskanzel Feuerpalfen an, vielleicht zehn Minuten von der Alm entfernt. Es bieten sich beeindruckende Blicke auf den Königssee und die Watzmann-Ostwand, nach Norden haben wir eine wunderschöne Aussicht weit ins Land Richtung Berchtesgaden und den Kehlstein sowie den Salzburger Hochthron. Gegen 10 Uhr verlassen wir die Kanzel und steigen zwei Stunden hinab bis zur Königsbachalm (1.240 m). Da der Himmel Regen verspricht, legen wir hier eine Mittagspause ein. Nach dieser steigen wir in 1,5 Stunden auf einer steilen Fahrstraße zum Carl v. Stahl  Haus (1.733 m) auf. Nach einer kurzen Pause erklimmen Kay und Susanne heute noch den Pfaffenkegel auf 1.840 m, Katrin, Martin und ich den Schneibstein auf 2.276 m Höhe. Als wir abends zusammen in der Hütte sitzen, fängt der Regen an, gegen die Scheiben zu schlagen.

Carl v. Stahl-Haus (1.733 m) - Berchtesgaden (571 m)

auf: ca. 100 m, ab: ca. 1.250 m, Länge: ca. 10 km, Dauer: ca. 3 Stunden

In der Nacht hören wir den Wind und den Regen. Auch morgens gibt es keinerlei Besserung. Bei dieser Witterung fällt die Entscheidung nicht schwer, die Überschreitung des Hohen Gölls (2.522 m) auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Statt dessen steigen wir in Regenzeug gehüllt nach Berchtesgaden ab.

Wir können auf eine gute Woche in einem interessanten und abwechslungsreichen Gelände zurückblicken und konnten ein Wetter genießen, wie es größtenteils schöner nicht sein konnte. Und der Gedanke auf dem Watzmann vor zwei Jahren hat sich bestätigt: Das Steinerne Meer ist ein lohnendes Ziel.

Text: Dagmar Gelszeit