Matreier Tauernhaus - St. Pöltener Hütte

Das Buch „Traumtreks Alpen“ von Iris Kürschner und Ralf Gantzhorn motivierte uns im August 2015 im Nationalpark Hohe Tauern die zwei Höhenwege in der Osttiroler Venediger- und Lasörlinggruppe zu wandern. Nach zügiger Anreise per Pkw mit einer Zwischenübernachtung im österreichischen Griesenau, schnürten wir am nächsten Morgen nach kurzer Weiterreise zum Matreier Tauernhaus auf 1512 m erstmals unsere Wanderstiefel. Von da an liefen wir für 11 Tage entgegen dem Uhrzeigersinn über die beiden Berggruppen, die das Virgental umschließen. Am ersten Tag waren gleich 1100 Höhenmeter zu überwinden. Hierfür wählten wir bei Sonnenschein, der uns die nächsten Tage ein treuer Begleiter sein sollte, die längere Drei-Seen-Route  zur St. Pöltner Hütte. Nach einer Stunde Gehzeit ließen wir den vom nächtlichen Gewitter noch feuchten Nadelwald hinter uns und konnten bereits einen Blick auf den schneebedeckten Großvenediger, Österreichs zweithöchsten Berg (3674 m), genießen. Dieser alles auf unser Wanderung überragende Gipfel wird in den folgenden Tagen vom Höhenweg meist sichtbar aber von uns unbestiegen bleiben. Grüner, Schwarzer und Grauer See laden uns im weiteren Verlauf des Aufstiegs jeweils zu einer Rast an ihren Ufern ein. Der Graue See liegt bereits höher als die von uns ersehnte Hütte und wird von kleinen Schneefeldern umgeben. Der über ihm thronende Messelingkogel (2694 m) könnte durch einen kurzen Abstecher erklommen werden. Wir bleiben aber dem Höhenweg treu und kommen im weiteren Verlauf an die erste versicherte Kletterstelle, um bald darauf die St. Pöltner Hütte mit unserem 12-Bett-Lager zu erreichen. Erfüllt von einem mit zahlreichen Höhepunkten gespickten fünfstündigen Weg nahmen wir auch einen etwas rüden Wirt und seine schmale Kost in Kauf.

St. Pöltener Hütte - Neue Prager Hütte

Waren wir am Tag zuvor noch überwiegend nach Norden gelaufen, so führte uns der Weg nun nach Westen. Morgens noch bei erstaunlich geringen Temperaturen liefen wir über lange Zeit ohne nennenswerte Höhenmeter dem Großvenediger entgegen. Die strikte und unterschiedliche Pausenfrequenz unserer und anderer Wandergruppen führte dazu, dass sich die an der Spitze befindlichen Gruppen mit dem gleichen Etappenziel ständig abwechselten und wir im Laufe dieses und folgender Tage wiederholt in die freundlichen und selten schmerzverzerrten Gesichter der uns bekannten Kollegen blickten. Die zweite Tageshälfte enthielt dann einige körperliche Anforderungen. Denn um bis zur Neuen Prager Hütte (2796 m) unterhalb des Großvenedigers zu gelangen, bedurfte es zunächst eines Abstiegs, der uns das Überqueren des reißenden Gschloß-Baches ermöglichte. Anschließend ging es dann steil um den Venediger-Kessel-Kamm zur Alten Prager Hütte. Diese über viele Jahre ungenutzte Hütte wird soll wieder in Stand gesetzt werden und einmal als „Ausflugs-Cafe“ dienen. Uns aber diente die vorgelagerte Wiese als Aussichtsplattform für einen atemraubenden Blick auf blankes Gletschereis, unberührte Schneefelder, zahlreiche den Großvenediger umgebende Gipfel, kleinere Lawinenfelder und tosende Gletscherbäche. Diese vergänglichen Naturgewalten befanden sich jetzt in scheinbar greifbarer Nähe und wir konnten uns unter diesem Eindruck nur schwer motivieren, eine letzte weitere Stunde mit 300 Höhenmetern in Angriff zu nehmen. Erschöpft und beseelt von den hochalpinen Gegebenheiten nach einer achtstündigen Wegstrecke erreichten wir unser Ziel, die Neue Prager Hütte, von der aus nur noch mit einer uns fehlenden Ausrüstung weitere Schritte in das vermeintlich ewige Eis möglich sind. Unser erstes Bergsteigeressen und die sich durch die einsetzende Dämmerung verändernde Bergsilhouette runden diese Etappe ab.

Neue Prager Hütte - Badener Hütte

An diesem Tag stiegen wir zunächst wieder zur Alten Prager Hütte ab, um von dort weiter nach Süden über mächtige, von Gletschern rund geschliffene Felslandschaften abzusteigen und im Tal die Gletscherzunge und den dort hervorschießenden Wasserlauf zu passieren. Dann geht es auf der Seitenmoräne wieder in höhere Lagen, zur Seite stets mit Geröll und Schutt bedecktes Gletschereis. Kleinere Schneefelder querend gelangten wir so auf das Löbbentörl. Auf der anderen Seite meisterten wir einige versicherte, aber kurze Kletterstellen und Bäche, für deren Überquerung trittsichere Steine gesucht werden mussten. Schließlich benötigten wir für diese Etappe zur Badener Hütte (2608m) eineinhalb Stunden länger als angegeben. Dafür erwartete uns die erste heiße Dusche, Hüttenmusik, freundliches Personal und leckeres Essen.

Badener Hütte - Bonn-Matreier Hütte

Der heutige Tag beinhaltete die einzige „schwarze“ Passage. Die ersten Stunden zeigten sich jedoch von einer anderen Seite: kaum Höhenmeter, erdige Wege durch hoch stehende und blühende Wiesen entlang des Froßnitztals. Erst als wir uns von diesem Tal nach Westen abwandten, stießen wir auf eine hohe graue Wand, an der wir noch keine zu querende Scharte ausmachen konnten. Von nun an ging es auf kürzestem Wege 600 Meter auf immer loserem Grund und an immer längeren Seilen nach oben. An der Galtenscharte (2882 m) angekommen fanden wir einen adlerhorstgleichen Rastplatz, an dem wir unsere Blicke lieber in das nächste Tal anstatt zurück richteten. Um eine Herausforderung reicher stiegen wir auf der anderen Seite der Scharte ebenso steil und versichert ab. Unsere Sehnsucht nach der Bonn-Matreier-Hütte (2750 m) wurde jedoch erst nach dem Erklimmen der Kälberscharte befriedigt, von der aus wir das Tagesziel erspähen konnten. Dort begrüßte man uns mit einem hochprozentigen Getränk, das Mario dazu verleitete, noch am selben Nachmittag auf den nahe gelegenen Raukopf (3070 m) zu steigen: „Dreitausender muss sein.“

Bonn-Matreier Hütter - Eissee Hütte

Dieses Gefühl übertrug sich auch auf Kay und Fabian, die zusammen mit Mario morgens auf den Säulkopf (3209 m) stiegen, um von dort oben eine berauschende - wenn auch nicht ganz klare - Aussicht in alle Richtungen zu genießen. Nach dem Abstieg ließen wir uns die Gipfelbezwingung auf der Bonn-Matreier-Hütte durch einen Stempel bestätigen und folgten dann Susanne und Manfred, die bereits weiter auf dem Höhenweg in Richtung Eissee-Hütte gezogen waren. Dabei stapften wir längere Zeit parallel zum Virgental, in dem wir erstmals seit unserem Start die Zivilisation in Form von Häusern und Straßen in der Ferne ausmachen konnten. Diesem Anblick konnten wir aber mit einer Wendung nach Norden in das Timmeltal entkommen, so dass wir nach weiteren eineinhalb Stunden Gehzeit und als Schrecken zahlreicher Murmeltiere ohne nennenswerte Anforderungen an der Eissee-Hütte (2521 m) als Gruppe wieder vereint waren. Leider konnten Susanne und Manfred zwischenzeitlich aufgrund eines unpassierbaren Bachs über die Ostroute von der Hütte nicht bis zum Eissee gelangen.

Eissee Hütte - Johannishütte

Dies holten wir gemeinsam über die Westroute am nächsten Morgen nach. Ein von Schneefeldern, Murmeltieren und Edelweiß umgebener Eissee lud uns ein, von einem sonnigen Bad in dieser Abgeschiedenheit und Stille zu träumen. Nur die Erinnerung an unsere Bezeichnung als Bergwandergruppe ließ uns im Anschluss einen äußerst steilen und zudem sandigen Pfad auf bis zu 2950 Meter dem Höhenweg über die Zopatscharte in das nächste Tal folgen. Dort hatten wir erneut den Großvenediger – aber diesmal die Ostflanke -  im Blick, während wir bis zur Johannishütte (2116 m) abstiegen, welche uns vor dem einsetzenden Regen schützte und allerlei Schmackhaftes verzehren ließ.

Johannishütte - Essen Rostocker Hütte

Fabian verließ am Morgen die Gruppe planmäßig und wir waren nur noch zu viert unterwegs. Pünktlich um 8 Uhr brachen wir in Richtung Aderkamm auf, den wir auf direktem Weg erklommen. Nach einer kurzen Verschnaufstrecke auf der 2500 m - Höhenlinie und einer ebenso kurzen Pause am munter plätschernden Aderkammbach ging es weiter hinauf zum Türmljoch (2790 m), dem „Höhepunkt“ des heutigen Tages. Zwischen sich auftürmenden Wolkenbergen genossen wir den Talblick und einen letzten Blick auf den Großvenediger. Einige Mitwanderer hatten sich bereits in Anbetracht möglichen Niederschlags entsprechend eingerüstet. Wir waren noch guter Dinge und wanderten auf den zahlreichen Serpentinen des Weges talwärts. Bereits am Mittag waren wir im Hochtal und es ging zwischen weidenden und „salzhungrigen“ Kühen gemütlich  weiter entlang des Maurer Baches. Dieser beeindruckte uns besonders durch seine imposanten Stromschnellen. Gegen 13 Uhr hatten wir unser heutiges Tagesziel, die Essener-Rostocker-Hütte auf 2208 m, erreicht und genossen mit den letzten Sonnenstrahlen des Tages auf der Terrasse unser wohlverdientes Ankunftsbier.

Essen Rostocker Hütte - Clarahütte

Am Morgen galt es, sich zu entscheiden. Es gab die Möglichkeit über die Maureralm und unterhalb der Quirlwand den Venediger-Höhenweg zu verlängern. Diese Route wird als schwer eingestuft; u. a. nur durch von Steinmännchen gekennzeichneten Passagen. Auf Grund der Wetterlage, zunehmend diesig und regnerisch, entschieden wir uns für die einfachere und aber doch schöne Strecke über Ströden. Zunächst ging es in Serpentinen ins immer grüner werdende Maurertal stetig in südlicher Richtung 600 Höhenmeter abwärts. Am Ende des Tales führte unser weiterer Weg uns westwärts auf den Wasserschaupfad Umbachfälle wieder aufwärts. Dieser Weg ist auch von Tagestouristen stark begangen. Doch der Ausblick auf die Wasserfälle links und rechts des Weges und die Umbachfälle selbst, mit ihren imposanten Stromschnellen, die sich buchstäblich in den Fels gefräst haben,  entschädigten uns für das trübe Wetter. Schon nach gut 4,5 Stunden erreichten wir die Clarahütte (2038 m), eine der ältesten Hütten im Alpenraum. Trotz Beschädigung durch eine Lawine wurde die Hütte erhalten. Durch einen in der Landschaft kaum erkennbaren, modernen und zweckdienlichen Erweiterungsbau geschützt kann sie weiterhin den Charme einer zünftigen Berghütte aus dem 19. Jahrhundert verströmen. Auch das neue Wasserrad zur eigenen Stromversorgung ist eine Besichtigung wert. Der zunächst brechend volle Gastraum leerte sich zusehends und wir konnten im urigen Ambiente den besten Kaiserschmarrn im Alpenraum in aller Ruhe genießen.

Clarahütte - Neue Reichenberger Hütte

Bei Nieselregen führte uns der Weg zunächst eine Viertelstunde zurück auf dem gestrigen Weg. Am Zulauf des Daberbaches querten wir dann die Isel und stiegen anschließend hoch über der tief eingeschnittenen Kerbe das Daberbachtal linksseitig hinauf. Unser Weg führte uns auf schmalem Pfad durch den grasbewachsenen Steilhang, gegenüber die schrofigen Abhänge des Hohen Kreuzes, ganz unten im Bachbett sahen wir noch die letzten Schneereste des Winters. Zum Ende des Tals wandte sich unser Pfad ostwärts und an der Daber Lenke (2631 m) hatten wir den höchstgelegenen Punkt dieser Etappe erreicht. Zur Rechten begleitete uns nun der stark zerklüftete Panargenkamm. Bisweilen hörten wir das Poltern von abgehendem Geröll in diesem wilden Gelände. Wir folgen aber weiter dem sanft gewellten Rudolf-Tham-Weg. Schon bald konnten wir die am Bödensee gelegene Neue Reichenberger Hütte (2586 m), unser heutiges Tagesziel, vor uns erblicken. Mario fühlte sich nach der heutigen relativ kurzen Etappe bereit, die angebotenen Gipfelmöglichkeiten zu nutzen, zumal es etwas aufklarte. So machte er sich auf den Weg zum nahegelegenen Bachlenkenkopf (2759 m). Nach einer halben Stunde war das Ziel erreicht, nur der angekündigte Venedigerblick blieb ihm versagt. Kurzentschlossen wand er sich einem neuen Ziel, der vor ihm aufragenden Gößleswand (2912 m) zu. Diese war durch einfaches wegloses Gelände gut zu erreichen. Auch hier kein Panoramablick. Aber bei klarer Sicht muss die Aussicht wundervoll sein. Der Abstieg führte über die Rote Lenke (2794 m) zurück zur Hütte. Dort wurde Mario vom Rest unserer Truppe bereits erwartet, und die Spagetti am Abend mundeten uns vortrefflich.

Neue Reichenberger Hütte - Lasörlinghütte

Der Wandertag begann mit einem relativ moderaten Anstieg zur Roten Lenke und anschließendem Abstieg in den Kleinbach-Boden. Von dort ging es wieder hinauf zur Scharte im Nordgrat des Stampfleskopfes, um anschließend in seiner Flanke durch gewaltige Geröllfelder wieder abzusteigen. Es folgte der Anstieg zum Prägnater Törl (2846 m); von hier aus ist eine Besteigung des Lasörlings möglich. Dieses reizte uns heute nicht. Der Gipfel tauchte nur sporadisch aus den uns umgebenden Wolkenschwaden auf und unser weiterer Weg hatte auch ein paar Herausforderungen zu bieten. Am Rand einer steil abfallenden Flanke sahen wir unter uns ein gewaltiges Blockfeld das weite Glaurat ausfüllen. In der Ferne war schon die Lasörlinghütte auszumachen. Zunächst war kein Abstieg sichtbar, dann nach einer weiteren Ecke sichteten wir einige sauber aufgeschossene Stahlseilrollen. Bei genauerem Hinsehen war eine sehr steile Spur zu erkennen, die in Serpentinen durch die mit Geröll und Blöcken gefüllte Rinne herabführte. Nach einer weiteren Stunde durch Blockfelder erreichten wir mit den ersten und letzten Sonnenstrahlen des Tages die architektonisch auffällige Lasörlinghütte: ein Achteck-Bau.

Lasörlinghütte - Virgen

Schon beim vorabendlichen Bergsteigeressen beschlossen wir dann, unsere kombinierte Venediger-Lasörling-Höhentour nach 11 Tagen zu beenden und anderntags direkt abzusteigen. Der Nieselregen und die (Graupel-)Schauer der letzten Tage bestärkten uns in diesem Beschluss, zumal das nasse Gestein den Weg zunehmend unangenehmer machte. So stiegen wir am nächsten Morgen durch das Mullitztal direkt ab. Nach 3 Stunden leichter Wanderung auf gut ausgebauten Forstwegen erreichten wir in Rain bei Virgen einen Parkplatz. Das dorthin telefonisch bestellte Hüttentaxi brachte uns zügig zum Ausgangsort unserer Hüttenwanderung zurück.

Uns hat diese in Teilen doch recht anspruchsvolle Kombination dieser zwei Höhenwegen aber begeistert, auch wenn wir im zweiten Teil keine Aussicht mehr hatten.

Von Mario Petersen und Fabian Rungs