Einmal um den Königssee - eine Tour im Nationalpark Berchtesgaden
Der seit 1978 bestehende Nationalpark Berchtesgaden ist der einzige deutsche Nationalpark in den Alpen. Kernstück ist der Watzmann (der höchste Gipfel ist die Watzmann-Mittelspitze mit 2713 m), der über dem langgestreckten Königssee thront, dem bekanntesten Gebirgssee Bayerns. Die mächtigen Felsen der Berchtesgadener Kalkalpen fallen fast senkrecht zum Ufer des Königssees hinab, wodurch eine beeindruckende Naturkulisse entstanden ist.
Geplant war in der zweiten Augusthälfte eine 5-tägige Rundtour durch den Nationalpark, die uns hoch über dem Königssee vom gleichnamigen Ort (über Carl-von-Stahl-Haus, Wasseralm, Kärlinger Haus, Wimbachgrieshütte und Watzmannhaus) zurück zum Ausgangspunkt führen sollte.
Nach der rund 12-stündigen Anfahrt aus Kiel schauen wir uns noch ein wenig im bayerisch-idyllischen Ort Königssee (610 m) um. Die letzten Boote kehren von ihren Ausflügen zurück, und die Touristenströme ebben langsam ab. Bevor die Sonne untergeht, machen einige Besucher noch schnell ein paar Selfies, andere genießen ein kaltes Fußbad im See, bummeln von einem Souvenirshop zum nächsten oder werfen mittels Fernglas einen Blick auf das berühmt-berüchtigte ‚Adlernest‘ (auch bekannt unter dem Namen Kehlsteinhaus, welches während des Dritten Reiches als Repräsentationsgebäude im Führersperrgebiet Obersalzberg diente). Wir übernachten in der gutbürgerlichen Pension Brandtnerhof. Das Auto können wir für die Dauer der Tour mit Gästekarte kostengünstig auf einem im Ort gelegenen Parkplatz stehen lassen.
Aufstieg zum Carl-von-Stahl-Haus
Bei blauem Himmel und Sonnenschein verlassen wir das Dorf und gehen sehr gemütlich auf einem breiten Fahrweg die Serpentinen hinauf in Richtung Carl-von-Stahl-Haus. Außer Wanderern sind viele Mountainbiker unterwegs, die allermeisten jedoch mit e-Antrieb; nur sehr wenige sportlich aussehende Männer quälen sich mit Muskelkraft bergan. Als wir den Anstieg, der größtenteils durch Wald verläuft, hinter uns haben, eröffnet sich ein phantastischer Blick auf die imposante Watzmann-Ostwand und die exponiert liegende Watzmannhütte. Vorbei an der neuen Jenner Seilbahnstation und Almen, die Frischmilch im Angebot haben, erreichen wir auf 1736 m schließlich unser Ziel: das Carl-von-Stahl-Haus ist eine geräumige Hütte des Österreichischen Alpenvereins, die nur ein paar Meter von der deutschen Grenze entfernt liegt. Der länderübergreifende Panoramablick über die Hochkalkalpen ist ein großartiger erster Höhepunkt unserer Tour.
Carl-von-Stahl-Haus - Wasseralm
Heute heißt es früh starten, da ein fast 8-stündiger Wandertag vor uns liegt und der Wetterbericht Regenschauer für den frühen Nachmittag vorhersagt. Nach fast 2 Stunden ist der erste und einzige Gipfel der gesamten Tour erklommen, der Schneibstein mit 2275 m. In der Nähe des Gipfels finden wir mehrere blühende Edelweiß. Der Abstieg erfolgt über die Windscharte, die ihrem Namen alle Ehre macht, zum türkisfarbenen See-lein-see (oder: Seele-in-See?), wo wir uns nur eine kurze Pause gönnen, da erste Regentropfen fallen. Glücklicherweise bleibt es bei wenigen Tropfen, sonst wäre der Aufstieg zum Hochgschirrsattel (1949 m) und der anschließende Abstieg durch den rutschigen und stark erodierten Landtalgraben wohl noch beschwerlicher. Auf einem felsigen Abhang beobachten wir 4 Gämsen, zwei Elterntiere mit ihren Jungen. In der engen und gut abgeschirmten Schlucht machen wir noch eine besondere Erfahrung: The sound of silence! Absolute Stille – nur der eigene Atem ist zu hören. Pünktlich um 14:30 Uhr beginnt es - wie vorhergesagt - heftig zu regnen. Das letzte Stück der Strecke führt uns für etwa anderthalb Stunden durch einen naturbelassenen Ur- oder Märchenwald bestehend aus Farnen, moosbewachsenen Felsen und altem Mischwald. Mehrfach geben die Bäume den Blick auf das südöstliche Ende des Königssees frei, den sogenannten Obersee. Dabei lässt sich die U-Form des Tales, welches während der Eiszeiten durch die Kraft des Königsseegletschers tief ausgeschürft wurde, gut erkennen. Kaum sind wir an der Wasseralm (1416 m) angekommen, die in einer Waldlichtung am rauschenden Bach liegt, hört der Schauer auf. Die DAV-Hütte ist der einzige Stützpunkt in dieser abgeschiedenen Gegend und daher auf Versorgung mit dem Hubschrauber angewiesen; das kulinarische Angebot ist deshalb eingeschränkt. Am Abend gibt es nur zwei Gerichte: 1. Gemüsesuppe mit Wurst und 2. Gemüsesuppe ohne Wurst. Die selbst gemachte Suppe schmeckt köstlich und der Nachschlag (inklusive) ist reichlich. Die Hütte ist fast ausgebucht; die Gäste verteilen sich auf 60 Betten in 2 engen Lagern und müssen mit 2 Waschbecken und 4 Toiletten auskommen.
Wasseralm – Kärlinger Haus
Zum Frühstück gibt es das teuerste Müsli der gesamten Wanderung (wie gesagt, alles muss zur Wasseralm geflogen werden!). Wiederum führt uns der Weg durch ein Stückchen Märchenwald und dann über bunte Wildblumenwiesen. Wir machen einen kurzen Abstecher zum Halsköpfl (1719 m), um von diesem Aussichtspunkt den Blick über den gesamten Königssee zu genießen, auf die Halbinsel St. Bartholomä mit seiner berühmten barocken Wallfahrtskirche und auf die Ausflugsboote, die von hier oben nur als kleine weiße Rechtecke auf blauem Hintergrund zu erkennen sind. Danach geht es abwärts, zuerst zum Schwarzsee und dann zum Grünsee, die trotz ihrer anderslautenden Namen beide bläulich schimmern. Wir erreichen den nächsten Sattel über zwei Steilstufen mit zahlreichen, zum Teil kaputten Holztreppen, die anscheinend für Menschen mit langen Beinen gebaut worden sind. Mitten im Aufstieg erwischt uns ein Schauer, der zwar nur kurz anhält, aber den Weg in eine Rutschbahn verwandelt. Das Kärlinger Haus (1630 m) ist in einem weitläufigen Talkessel direkt am reizvollen Funtensee gelegen und von hohen Bergen und Schafherden umgeben. Die DAV-Hütte verfügt über schöne Zimmer/Lager sowie einen gut funktionierenden Trockenraum. Die Versorgung erfolgt ebenfalls mittels Hubschrauber.
Abstieg zum Königsee
Am nächsten Morgen werden wir vom Regen geweckt, der auf das Dach trommelt. Dichte, tiefhängende Wolken sitzen im Tal fest. Der Starkregen lässt nicht nach, und da es leider keinen tagesaktuellen Wetterbericht gibt, entscheiden wir uns, nicht zur Wimbachgrieshütte weiterzugehen. Diese Strecke würde uns für 7-8 Stunden über schwieriges Terrain führen. Stattdessen gehen wir runter zum Königssee, mehr als 1000 Höhenmeter, über einen gut angelegten Weg, der auch bei Dauerregen relativ sicher ist. Der Pfad führt uns zunächst gemächlich abwärts, bis wir am Beginn der Saugasse stehen, einer schmal eingeschnittenen, sehr steilen Schlucht. Flache Serpentinen leiten uns relativ einfach hinunter in den Talgrund. Wegen Wolken und Regen können wir die massiven Felswände der Saugasse leider nur erahnen. Das letzte Stück bis nach St. Bartholomä (610 m) verläuft wieder durch verwunschenen Märchenwald mit uraltem Baumbestand. Kurz vor dem Ziel müssen noch ein Fluss und mehrere überschwemmte Wege durch- bzw. überquert werden – dann sind wir nach dreieinhalb Stunden am Schiffsanleger von St. Bartholomä und können unsere Schlussetappe nach Königssee bequem und trocken per Boot zurücklegen. Auch über dem Ort hängen dicke Wolken, und es kommt wiederholt zu Schauern. So stornieren wir unsere reservierten Übernachtungen und kehren kurz entschlossen nach Kiel zurück. Servus Nationalpark Berchtesgaden!
Fazit: Bei der (verkürzten) 4-tägigen Tour handelt es sich um einen nicht zu anspruchsvollen Rundweg in landschaftlich sehr abwechslungsreicher Umgebung. Die verschiedenen Höhepunkte reichen von weiß schimmernden Kalkalpen, schmucken Zweitausendern, klaren Gebirgsseen, Schluchten mit steilen Felswänden, bunten Wildblumenwiesen und urigem Märchenwald – Genuss für Auge und Ohr!
Tipp: Alle Hütten sind gut besucht, deshalb empfiehlt es sich, frühzeitig zu reservieren.
Text und Bilder: M. Herzog