Auf dem GTA durch die Ossola-Täler
Die großen Touren der Ostalpen haben wir gemacht und auf eine überlaufene Alpenüberquerung hatten wir keine Lust. Es sollte etwas anderes sein. Unsere Wahl fiel auf die Grande Traversata delle Alpi. Sie führt offiziell vom Anzasca-Tal östlich des Monte Rosa bis fast ans Mittelmeer und bleibt dabei immer im Piemont. Nach Norden ist die GTA nicht fertiggestellt worden, es gibt aber eine heute übliche Erweiterung bis zum Griespass an der Schweizer Grenze. Dank Nachtzug und pünktlicher Schweizer Bahn ist dieses Ziel von Kiel besser zu erreichen als von München.
Griespass - Rifugio Citta di Busto
Nach 18 Stunden Anreise stiegen wir mittags um 12 Uhr irgendwo am Rande der Waliser Alpen auf etwa 2.200 m Höhe aus dem Bus. Außer einem kleinen Parkplatz war hier nichts. Von hier ist es bis zum Rifugio Citta di Busto nur ein dreistündiger Weg. Mit fehlender Akklimatisation war der letzte steile Aufstieg zur Hütte anstrengend.
Rifugio Citta di Busto - Rifugio Margaroli
Am nächsten Tag gerieten wir in den Bettelmatt-Ultra-Trail, einem Berglauf. An diesem Tag waren Strecken mit 50 und 83 km mit bis zu 5.000 Höhenmetern dran. Die kurzen Distanzen (22 und 35 km) sollten am folgenden Tag gelaufen werden. Den ganzen Tag begegneten uns Bergläufer, zum Teil in einem halsbrecherischen Tempo. Das Rifugio Margaroli war eine der Verpflegungsstationen. Heute war die Hütte voll belegt. Zum Glück hatten wir hier rechtzeitig reserviert. Da die Italiener Polenta auf einer Hütte erwarten, wird sie natürlich auch serviert. Wirklich begeistert hat sie mich aber noch nicht.
Rifugio Margaroli - Alpe Devero
Vom Colle Scatta Minoia, dem höchsten Punkt des nächsten Tages, hatten wir eine tolle Aussicht auf etliche 4.000er der Berner und Walliser Alpen, allerdings aus einem eher ungewöhnlichen Blickwinkel. Später kamen wir durch eine Landschaft, in der man sich eher in Kanada wähnt als in den Alpen. Nach der recht einsamen Wanderung waren wir überrascht, wie überfüllt es auf Alpe Crampiolo war. Es war Sonntag und die beiden autofreien Hochalmen Veglia und Dèvero, wozu Crampiolo gehört, sind bei den Italienern sehr beliebte Ziele für einen Tagesausflug. Allerdings darf man hierher nicht mit zu hohen Erwartungen kommen.
Alpe Devero - Alpe Veglia
Zur Alpe Veglia hatten wir einen langen Tag zu bewältigen, der zudem die Schlüsselstelle der ersten Woche beinhaltet. Trotzdem machten wir einen Abstecher zum Lago Nero, wo wir faszinierende Nebelschwaden über dem Wasser beobachten konnten. Bei der Wahl der Pausenplätze musste man wählerisch sein, teilweise weil die Wiesen recht feucht waren, andererseits weil sich an den beiden Pässen bettelnde Ziegenherden aufhielten und an eine geruhsame Vesper somit nicht zu denken war. Der Blick auf den Monte Leone, der lichte Lärchenwald und der Sonnenschein am Nachmittag entschädigten für alle Mühen. Im Albergo Lepontino wurden wir herzlichst begrüßt und konnten erstmal unser Bier bzw. Radler genießen und verschnaufen. Von der Willkommenskultur kann sich so mancher Ostalpen-Hüttenwirt eine Scheibe abschneiden. Der Wirt hatte seine Freude daran uns später seinen Spezialitätenkeller zu zeigen, wo die Wein-, Käse- und Schinkenvorräte für sein Restaurant lagerten – natürlich alles aus der näheren Umgebung. Im örtlichen Einkaufsladen waren wir auch noch, der bestand wirklich nur aus einem Zimmer.
Alpe Veglia - Trasquera
Die Alpe Veglia entwässert durch eine beeindruckende Klamm. Der Weg ist mühsam in einem Steilhang angelegt worden. Im weiteren Verlauf kamen wir durch den einsamen Weiler Balmelle, wo wir von nicht angeleinten Hunden verbellt wurden.
Der Abstieg vom Passo Posette führte uns durch Blumenwiesen mit vielen Schmetterlingen sowie durch Waldstücke, aber auch durch verlassene Alpen, ein irgendwie trauriger Anblick. Die Punta Diabolo (Teufelsbrücke) überbrückt einen wahrlich grandiosen Einschnitt in der Landschaft. Das Agroturismo La Fraccia liegt hoch über den Tälern Divedro, Antigório und Ossola - fast wie eine Aussichtsterrasse. Hier konnten wir nach herzlicher Begrüßung die Aussicht bei einem Bier genießen. Auch des Abendessen und unser Doppelzimmer waren hervorragend.
Zwischbergen - Rifugio Gattascosa
Im weiteren Wegverlauf muss die steile Gondoschlucht gequert werden. Sie birgt viele Höhenmeter und zudem ist hier die Staatsgrenze, so dass es keinen durchgehenden Busverkehr gibt. Diese Stelle löst jede Gruppe anders. Wir hatten bereits im Vorwege einen Fahrservice nach Zwischbergen organisiert. Die Fahrt ersparte uns viele Wander-Höhenmeter auf Asphalt. Trotzdem hatten wir noch etwa 1.000 Hm Aufstieg zu bewältigen. Wir wählten eine Variante an drei Seen vorbei, die unsere digitale Karte zeigte. Zur Bocchetta di Gattascosa ging es höhengleich über viel grobes Blockwerk. Im Abstieg folgten wir zwei Italienern, in der Annahme, dass sie auch zum Rifugio Gattascosa wollten. Dadurch verpassten wir den richtigen Abzweiger und mussten uns ein kurzes Stück durch Alpenrosengestrüpp zur Hütte kämfen. Hier trafen wir einige Schweizer wieder, die wir vor zwei Tagen kennengelernt hatten. Das Abendessen wurde an einer großen Tafel serviert. So hatten wir reichlich Zeit, unsere Kenntnisse im Schwyzerdütsch zu verbessern. Ein Schweizer Bergführer und seine Partnerin hatten für morgen das gleiche Ziel.
Rifugio Gattascosa - Rifugio Alpe Laghetto
Bereits abends fing es an zu regnen. Sobald es am nächsten Vormittag aufhörte, gingen wir los, bis zur Alpe San Bernardo nahmen wir den Fahrweg. Auf einem für die Steilheit des Hanges erstaunlich guten Höhenweg ging es durch Nadelwald. An einer Lichtung stießen wir auf einen vor längerer Zeit verlassenen Weiler. Die Häuser waren z. T. schon eingefallen. Auf der Alpe Vallero hatte man die Schafe zusammengetrieben, da Schlechtwetter angekündigt war. Wir durften den schlammigen Hang queren, den die Schafe kurz vorher durchgepflügt hatten. Noch vor dem Regen kamen wir auf dem Rifugio Alpe Laghetto an, wo wir uns im geheizten Aufenthaltsraum aufwärmen konnten. Die kleine Hütte wird von Sektionsmitgliedern ehrenamtlich geführt. Zudem gab es Internet – zum ersten Mal seit einer Woche. Zusammen mit den Schweizern werteten wir den Wetterbericht aus, der für den nächsten Tag Gewittergefahr ab Mittag ansagte. Wir waren die einzigen Gäste und trotzdem waren uns unterschiedliche Lager zugewiesen worden - das wäre einem Ostalpenwirt nicht passiert. Die Bewirtung war hervorragend: Risotto und Kalbsschnitzel mit Beilage nach Wahl. Es war wieder ein netter Hüttenabend.
Rifugio Alpe Laghetto - Alpe Cheggio
Angesichts der Gewittergefahr hatten wir uns auf ein frühes Frühstück geeinigt, immerhin hatten wir eine schwierige und lange Etappe vor uns. Heute war es extrem nebelig. Das im Führer als schwierig beschriebene Wegstück ist inzwischen saniert worden. Die extreme Ausgesetztheit wurde gnädig vom Nebel geschluckt. Pausieren konnten wir in einem ehemaligen Viehstall an der Alpe Preia unter einem Riesenfelsblock, der jetzt als Unterstand ausgebaut ist. Hier war es zumindest trocken. Der Weiterweg war schwierig, weil er hier nicht markiert war und wir im Nebel nur Sichtweiten von etwa 20 Metern hatten. Wir waren froh, als wir wieder auf Markierungen stießen und als kurzzeitig der Passo Preia zu sehen war. Der Abstieg war wenig begangen. Er führte als schmale Trittspur durch hohes Gras und Erlengestrüpp. Zum Glück war es trocken, bei Regen wäre es schwierig geworden. Um halb zwei hatten wir die Tagesetappe hinter uns und konnten uns entspannt im Albergo Alpino bei Cappuccino und Kuchen zurücklehnen. Nachmittags konnten wir bei Sonnenschein die Alpe Cheggio erkunden. Das Essen war wieder einmal hervorragend. Währenddessen gab es das angekündigte Gewitter, das sehr heftig war.
Alpe Cheggio - Alpe Colma
Strahlender Sonnenschein empfing uns am nächsten Morgen. Wir kamen durch Antronapiana; in einer Bar genossen wir einen Cappuccino, anschließend kauften wir Postkarten und Proviant. Auf alten Maultierpfaden ging es weiter nach San Pietro, wo wir mittags gerne eine Pizza gegessen hätten. Aber die Pizzeria heizt nur abends den Ofen an. So beließen wir es bei einem Radler. Am Nachmittag stand uns bei großer Hitze ein steiler 1.000 Hm-Aufstieg bevor, leicht schwül war es zudem. Kay stöhnte, warum uns niemand vor diesem Anstieg gewarnt hatte. Wir stießen auf eine nahezu verlassene Alpe; hatten aber den Eindruck, dass hier noch jemand hauste. Auf Alpe Colma gab es einen netten Empfang und eine grandiose Aussicht. Auf unser Handy und unser Tablet mussten wir hier verzichten, da die Wirtin auf Elektrosmog empfindlich reagiert. Sie sprach sehr gut Englisch, was für die Verständigung gut, für mein Wiedereingewöhnen ins Italienisch aber eher kontraproduktiv war. Zum Essen gab es selbst gemachte Nudeln; auch Salat und Brot kamen aus eigener Herstellung.
Alpe Colma - Molini di Calasca
Morgens genossen wir bei klarer Fernsicht das 360°-Panorama. Danach ging es ca. 1.100 Hm bergab nach Molini im Anzasca-Tal. Der Weg führte wieder durch tolle Wiesen mit Schmetterlingen. Im tiefergelegenen Wald kamen wir an vielen ehemaligen Terrassenfeldern vorbei. Den Nachmittag hatten wir zur Erholung und endlich Zeit, die Postkarten zu schreiben. Unser Quartier war gleichzeitig die örtliche Pizzeria und wir bekamen abends endlich unsere Pizza. Man sollte allerdings den ersten Gang weglassen, vor allen Dingen, wenn man auch Nachtisch nehmen will.
Molini di Calasca - Rifugio Alpe del Lago
Mit zusätzlichem Proviant brachen wir am Morgen nach einem Regenschauer auf. Es ging ca. 1.200 Hm hinauf zum Rifugio Alpe del Lago, einer Selbstversorgerhütte. Der Weg war recht zugewachsen und nass ein wenig rutschig. Als es in den Wald ging, wurde er steil, war dafür aber trocken. Auf der Alpe Pozzetto war zum Glück der angekündigte Hund nicht anwesend, so konnten wir in der Sonne sitzend unsere Brotzeit genießen. Ein wenig später sahen wir hinter dem Bergrücken eine dunkle Wolkenwand hochziehen und waren froh, als wir die Hütte erreichten. Sie war allerdings stark verräuchert, so dass wir erst einmal den Raum und einige Decken richtig lüfteten. Zum Glück schien die Sonne doch noch recht lange, so dass wir uns draußen aufhalten konnten. Die Hütte hatte nur Geschirr für zwei Personen, da die Italiener das vorhandene Einweggeschirr benutzen. Dadurch ließen sich auch die gut gefüllten Müllsäcke erklären. Wir waren froh, als wir die Hütte am nächsten Morgen verlassen konnten.
Rifugio Alpe del Lago - Campello Monti
Auf vorigen Etappen bemerkten wir öfters Wegearbeiten oder gemähtes Gras. Der vor uns liegende Pass war hiervon allerdings ausgenommen. Außer von einzelnen GTA-Wanderern wird dieser Übergang kaum genutzt. Durch dichtes hohes Gras und kniehohe Alpenrosenbüsche kamen wir nur beschwerlich voran. Am zweiten Pass überraschte Kay eine Gemse, die sich in unmittelbarer Nähe auf der anderen Seite des Passes aufhielt. Wir hatten wir vom Pass eine fantastische Aussicht. Im Norden waren die Berge in Wolken gehüllt, dafür hielten sie das schlechte Wetter auf, aber im Süden konnten wir den Lago Maggiore, die Po-Ebene sowie die gesamten Alpenbogen nach Süden sehen. Die Zeitangaben auf den Wegweisern für den Lago di Ravinella waren sehr sportlich. Nach einer Pause dort stiegen wir zum Colle dell‘ Usciolo auf, ab hier kamen wir wieder in bewohntes Gebiet. Zur Bewirtschaftung der Alpen sind hier auch heute noch Esel im Einsatz. In Campello Monti, einem kleinen netten Ort, der nur noch im Sommer bewohnt wird, konnten wir einen entspannten Nachmittag genießen.
Campello Monti - Rimella
Am nächsten Morgen wanderten wir parallel mit zwei jungen Frauen aus Bielefeld und einem Schweizer, die sich auf den vorigen Etappen kennengelernt hatten. Der Aufstieg zur Bocchetta di Campello war nach den Anstrengungen der letzten Tage angenehm. Vom Pass hatte man eine gute Aussicht auf den Monte Rosa. Leider war er an diesem Tag nicht wolkenfrei. Auf dem Weg der Sargträger ging es auf gutem Weg mäßig bergab. In Rimella wähnten wir uns am Ziel als wir eine Kirche sahen, da wir zum Orsteil Chiesa (Kirche) wollten. Aber leider besteht der Ort aus mehreren Weilern und hat mindestens zwei Kirchen. Wir mussten also noch ein ganzes Stück weiter. An diesem heißen Tag genossen wir eine Erfrischung auf der Terrasse. Nachmittags haben wir noch den Ortsteil erkundet. Das Restaurant ist überregional bekannt für seine Antipasti und sein reichliches Essen. Das hatten wir bereits auf Laghetto von den Schweizern gehört. Drei Stunden und etwa 15 Gänge später standen wir gesättigt und zufrieden auf – wirklich legendär!
Rimella - Alpe Baranca
Morgens bekamen wir noch einige Kleinigkeiten für den Weg mit. Die Alpe Baranca war unser Ziel. Eine Wegänderung ist zwischenzeitlich gut markiert worden. An anderer Stelle hingegen fehlten Markierungen. Wir kamen frühzeitig bei der Alpe an und konnten die Sonne und einige Getränke genießen. Am Nachmittag stiegen wir noch zum Lago und Colle Baranca auf. Das Abendessen bestand überwiegend aus alpeigenen Produkten. Es reichte auch für einige späte, nicht angemeldete Wanderer. Die Wirtin erzählte uns, dass italienische Gäste auf einer Alpe häufig Obst und frisches Brot erwarteten; die ausländischen Gäste würden deutlich geringere Ansprüche stellen. Wir waren vom Abendessen begeistert.
Alpe Baranca - Pontegrande
Am nächsten Morgen stiegen wir über den Baranca-Pass nach Pontegrande ca. 1.300 Hm hinab. Der Mittagsbus brachte uns nach Domodossola, von wo aus wir mit dem Zug unsere Heimreise antraten. Am nächsten Vormittag waren wir wieder in Kiel.
Der GTA hat uns gefallen, es ist ein Hüttenwandern wie in alten Zeiten, wo man die Quartiere nicht wochenlang vorher reservieren muss, sondern letztlich nach Wetter und eigenem Können seinen Weg einteilen kann. Das Quartier für den nächsten Tag lässt man sich durch den Wirt telefonisch reservieren; dieses Verfahren hat sich hier etabliert. Uns gefällt es, so unbeschwert wandern zu können. Wir kommen auf jeden Fall wieder.
Text: Susanne Bartelt
Fotos: Susanne Bartelt und Kay Ahrend