Auch 2018 mal wieder Watt!

Ein Besuch der Halligen Langeneß und Oland

Diese Ankündigung ließ unsere Herzen höher schlagen!

Alle zwei Jahre wird dieser „außerplanmäßige“ Kurzurlaub am Nordseestrand angeboten. Wir hatten Glück und konnten zwei Plätze ergattern! Da wir noch nie auf Langeneß gewesen waren, verschafften wir uns zunächst mal einen kleinen geografischen Überblick über die Hallig und deren geschichtliche Entwicklung:

Die 9,56 m² große Hallig verdankt ihren Namen Langeneß (lange Nase) ihrer Form, die unter dem Einfluss von Gezeiten und Sturmfluten entstanden ist; schmal und langgestreckt liegt sie vor der Westküste Schleswig-Holsteins. Bereits im 17. Jahrhundert siedelten sich hier Seefahrer an. Sie ist mit ihren 18 bebauten Erhebungen, den Warften, die größte der zehn nordfriesischen Halligen, ist ständig bewohnt (aktuell ca. 130 Einwohner) und verfügt über einen Kindergarten mit momentan ca. 10 Kindern, eine Schule, in der z.Zt. 10 Kinder in den Stufen 1-9 unterrichtet werden, eine Kirche und zwei Museen – ein privates und eines, welches der Gemeinde gehört.

Montag, 04.06.2018

In Fahrgemeinschaften erreichten wir gegen 9.00 h den Fährhafen Schlüttsiel, von wo uns die Fähre bei bedecktem, mäßig nieselndem Wetter zur Hallig brachte. Gleich nach unserer Ankunft gegen 11.45h konnten wir bei dem Fahrrad-Verleih direkt neben dem Anleger im Südwesten von Langeneß unsere schon vorbestellten Miet-Fahrräder in Empfang nehmen und wohlgemut den superkurzen Weg zu unserem Quartier, dem Gasthaus „Hilligenley“ antreten. Freundlich wurden wir empfangen (galt unsere Reiseleiterin Helga hier doch schon als gern gesehener Stammgast). Ein kleines Emailleschild instruierte uns über die Mentalität der Halligbewohner:

Wir machen keine großen Worte, bei uns sagt man Moin – Moin Moin gilt als geschwätzig!

Aha, nun wussten wir Bescheid 

Nach einer kleinen Verschnaufpause hieß es dann `ab aufs Fahrrad´. Unser Ziel: das Kapitän-Tadsen-Museum, das in einem der ältesten, original erhaltenen Hallighaus auf der Ketelswarft eindrucksvoll Einblick in das Halligleben des 18. Jahrhunderts gewährt.

Eine Führung durch die Jahrhunderte mit vielen interessanten Erzählungen ließ uns in das ereignisreiche, spannende, aber auch sorgenvolle und kärgliche Leben der Inselbewohner von damals eintauchen:

Das Haus wurde 1741 von Kapitän Tade Volkerts erbaut, in der Halligflut von 1825 zu großen Teilen zerstört und noch im gleichen Jahr um 2-fach verlängert wiederaufgebaut. Schwere Sturmschäden gab es dann erneut in der Sturmflut von Februar 1962, die später notdürftig ausgebessert wurden, bevor das Haus 1968 in den Besitz der Gemeinde Langeneß überging. Nach gelungener Restaurierung konnte das Haus 1987 der Öffentlichkeit in feierlichem Rahmen vorgestellt werden.

Nach diesem eindrucksvollen Sprung in die Vergangenheit kam uns die „Kookenstuv“ mit Kaffee und Kuchen gerade recht; hier konnten wir in gemütlicher Atmosphäre alles noch einmal Revue passieren lassen und Begriffe wie z.B. Landunter = Wasserstand von ca. 1m über dem mittleren Tidehochwasser und deren Auswirkungen überdenken.

Gut gestärkt schwangen wir uns danach wieder auf die Fahrräder. Weiter ging es zum Lorenbahnhof, der einzigen Schienenverbindung zwischen Oland, Langeneß und dem Festland.

Herrlich war es, durch die Stille der Natur zu radeln, begleitet von dem Gesang, Gechecker und Getschilpe der Vogelwelt. Hier haben jede Menge Vogelarten wie Austernfischer, Rotschenkel, Küstenseeschwalben, Ringelgänse und Möwen ihr Zuhause. Die Hunnenwarft, direkt am Langeneßer Vorland liegend, ist die ideale Brutstätte für eine Vielzahl dieser Vögel.

Den letzten Wegabschnitt zu den Loren legten wir zu Fuß zurück und freuten uns über die ersten zarten Blüten des Strandflieders, der sich zwischen und neben den Schienen angesiedelt hatte. Angesichts dieser wunderschönen Natur fiel es nicht schwer zu verstehen, dass die Halligen für Naturfreunde eine unendliche Freiheit bieten und der kürzlich gelesene Satz: „Da, wo die Ruhe zu hören ist“ bekam eine reale Bedeutung.

Ein schmaler Schienendamm verbindet Langeneß sowohl mit dem Festland als auch mit der viel kleineren Hallig Oland. Wenn es schnell gehen soll, müssen die Einheimischen nicht erst lange auf die nächste Fähre warten, sondern nutzen ihre zumeist selbst gebauten Loren, die – von einem Benzinmotor angetrieben – mit ca. 20 km/h das 4 km lange Gleis befahren. Eine Fahrt nach Oland dauert z.B. etwa 20 Minuten. Gibt es zufällig Gegenverkehr, so hat derjenige Vorfahrt, der bereits das größte Stück der Strecke zurückgelegt hat.

Die letzte Station unserer Tour führte uns zur Kirchwarft, wo wir die um 1894 erbaute Kirche besichtigten. Eine kleine Broschüre, die uns Dörte J. vorlas, klärte uns über die Kirchengeschichte und die Herkunft der Einrichtung auf. Das Innere dieser Kirche ist geprägt durch die Ausstattung der Vorgängerkirchen aus den Jahren 1666 und 1725, der Blütezeit des Walfangs, dem fast alle Männer damals nachgingen. Die Schifferfamilien stifteten nach und nach das gesamte Inventar wie z.B. das Abendmahlsgerät, die Altarleuchter, den Flügelaltar, das Kruzifix, die Kanzel und die Deckengemälde, die 14 biblische Szenen darstellen.

 

Beeindruckt, aber mit knurrendem Magen, strampelten wir die letzte Etappe gegen den nun doch ziemlich pustigen Wind an und freuten uns auf ein leckeres Essen in unserem Gasthaus. Wir wurden nicht enttäuscht, schlossen diesen Genuss mit einem „Schimmelreiter“ ab und spazierten dann gemütlich zum nahe gelegenen Leuchtturm. Eigentlich wollten wir hier den Sonnenuntergang genießen – aber leider, leider tat die Sonne uns diesen Gefallen nicht, sie versteckte sich schamhaft hinter den Wolken!

Dienstag, 05.06.2018

Nach einem ausgiebigen Frühstück ging´s wieder auf die Fahrräder. Für heute stand die lang ersehnte Wattwanderung nach Oland an. Das Wetter spielte mit, die Sonne lachte auf uns herunter und mahnte uns, ja nicht die Sonnencreme zu vergessen. Zügig erreichten wir die Kirchwarft, wo uns die FÖJ´lerin Rebecca schon erwartete. Nun hieß es: Schuhe aus, Hosenbeine hochkrempeln, eine letzte Ölung der ungeschützten Hautflächen und ab ins Watt! Mit HUCH und HACH überquerten wir das erste schlickig-rutschige Stück (bloß nicht hinfallen!!!) und dann spürten wir trittfesten Untergrund unter den leicht vom Wasser umspülten Füßen, warm und einfach schön.

Rebecca führte uns langsam durch die Wunderwelt des Meeres, blieb hier und da stehen, um uns auf Besonderheiten aufmerksam zu machen. Wir erfuhren viel über die Vegetation im seichten Wasser, über Quergel und Wiesen-Wermut und die Schmackhaftigkeit von Wattsalat; sie grub für uns Muscheln aus und ließ uns staunend Zeuge werden von der Tatsache, dass diese Muscheln ein Bein haben! Ja, tatsächlich, Muscheln haben ein kleines Grabebein, geformt wie ein Paddel, das sie nach einer Weile auf dem Trockenen zum Eingraben nutzen, indem sie ihre Schale einen winzigen Spalt öffnen, das Bein ausfahren und zielstrebig mit dem Einbuddeln beginnen. Ein faszinierendes Schauspiel.

Nach gut 2 Stunden erreichten wir Oland, mit 0,96 km² die sechstkleinste der zehn Halligen mit nur 1 Warft, auf der 15 Häuser stehen. Auch Oland ist ständig bewohnt (z.Zt. 15 Menschen) und wird von vielen Touristen besucht, wovon wir uns bei dem höchstwillkommenen Imbiss im „Kiek in“ überzeugen konnten. Auch hier genossen wir eine kleine Hallig-Führung, beginnend mit der Kirchenbesichtigung der Saalkirche aus dem Jahre 1824, die sogar den schweren Sturmfluten von 1825 und 1926 getrotzt hatte. Mittelpunkt der ca. 3m hohen Warft ist das reetgedeckte schmucke „Weiße Haus“ mit einem Wasserspeicherbecken, dem Fething. Das Regenwassersammelbecken diente früher als Viehtränke.

Da in Fethinge auch Oberflächenwasser der Wiesen und damit unter Umständen auch Dung mit in das Wasser gelangen konnte, wurde eine gesonderte Zisterne, der sogenannte Sood für Regenwasser vom Dach als Reservoir für Trinkwasser genutzt. Eine externe Wasserversorgung wurde erst schrittweise seit Mitte des 20. Jahrhunderts eingerichtet

Als weitere Sehenswürdigkeit gilt der einzige reetgedeckte Leuchtturm Europas, ein Backsteingebäude mit einer Firsthöhe von 7,45m und damit der kleinste Leuchtturm Deutschlands, der seit 1929 in Betrieb ist. Als Besonderheit weist er Leuchtfeuer mit Gürtellinse auf, das als Quermarkenfeuer für den Föhrer Ley und das Dagebüller Fahrwasser gilt.

Langsam wurde es Zeit für den Rückweg. Angefüllt mit neuem Wissen folgten wir Rebecca willig zurück ins Watt. Herrlich, so weit das Auge reichte im Sonnenlicht funkelndes Meerwasser und glitzernde Rillenmuster im Watt, so, als würden Himmel und Erde ineinanderfließen.

Plötzlich blieb Rebecca stehen, zückte ihren kleinen Klappspaten und begann vorsichtig zu graben, um uns zu zeigen, wie Wattwürmer leben. Sie beschrieb uns, wo sie zu finden sind und wie die kleinen Ringelwürste entstehen, die wir im Watt zuhauf entdeckt hatten. Anschaulich erklärte sie uns die Sache mit dem Trichter, zeigte, wie sich der Wattwurm in weitem Bogen in ca. 25 cm Tiefe u-förmig eingräbt, dabei den Sand trichterförmig einzieht, frisst, die organischen Bestandteile verdaut und das ungenießbare Sediment am Ende des Bogens in eben diesen Ringelwürsten wieder ausscheidet. Erstaunt erfuhren wir, dass Wattwürmer rotes Blut mit der Blutgruppe Null haben und somit eventuell für die Forscher und uns Menschen einmal sehr wichtig werden könnten.

Als krönenden Abschluss ließ sie uns erleben, wie gefährlich es ist, bei Nebel im Watt zu laufen. Wir mussten alle nebeneinander in einer Reihe antreten, während sie ca. 100 Schritte voraus marschierte. Sie bat uns, die Augen zu schließen und ihr die 100 Schritte auf Zuruf zu folgen. Na gut, das ist doch einfach – dachten wir! Mit geschärften Sinnen tapsten wir los, zählten brav bis 100, versuchten, uns an Geräuschen der anderen zu orientieren und blieben stehen, als Rebecca rief. Aber woher kam denn ihre Stimme? Wie ein Brummkreisel drehte sich fast ein jeder von uns, denn wir waren alle in komplett unterschiedlichen Richtungen unterwegs – kaum auszudenken, es wäre wirklich neblig geworden!

Zum Trost für diesen kleinen Schrecken ließen wir es uns abschließend noch einmal in der „Kookenstuv“ bei Kaffee und Kuchen gut gehen und radelten dann direkt zum Fahrradverleih „Kiosk Rixwarf“ zurück, um unsere Fahrräder abzugeben.

Und nun nahte für die fünf Neulinge dieser Gruppe ein Event, von dem die versierten Wattwanderer der Vorjahre schon immer wieder gesprochen hatten. Das heißt, angedeutet hatten sie es, geheimnisvoll und konspirativ hieß es immer wieder: `Ihr müsst ja noch unter den Teppich schauen´.

Was das nun bedeuten sollte, das hatte uns bis jetzt niemand verraten wollen – sie ließen uns einfach zappeln!

Aber jetzt, am letzten Abend unserer Tour sollte das Geheimnis gelüftet werden! Wenn, ja wenn der Chef des Hauses „Hilligenley“ die Zeit finden würde, uns unter den Teppich schauen zu lassen! Wir rieten und mutmaßten, was es wohl damit auf sich haben könnte, aber die anderen schüttelten nur den Kopf: Wartet es ab!

Tja, und dann war es soweit – der Chef erschien, winkte uns zu sich und endlich, endlich durften wir unter den sagenumwobenen Teppich schauen! Genial!!

Mittwoch, 06.06.2018

Abreisetag – kein gern gehörtes Wort, aber zunächst lockte uns noch ein ca. 8 km langer Spaziergang, der die südliche Hälfte der Hallig umrundete. Zunächst ging es ein Stück auf dem Deich entlang und wir konnten hautnah beobachten, wie geschickt die Möwen ihre Frühstücksaustern zum Öffnen aus höchster Höhe herabfallen und auf den Steinen zerspringen ließen; dann ging es durch einen saftig grünen Wiesenweg quer über die Hallig zur gegenüberliegenden Seite und dort wieder am Wasser entlang, bis sich in der Nähe von „Ankers Hörn“ tatsächlich schon wieder der Appetit auf einen kleinen Imbiss meldete. Von dort aus war es nicht mehr weit bis zum alten Friedhof, dem wir gern noch einen Besuch abstatten wollten, und dann wurde es auch schon Zeit für den Rückmarsch zum Schiff, wo unsere Koffer schon fertig zum Einladen bereitstanden. Begleitet vom Ruf der Vogelwelt, in dem man die Aufforderung „Besuch uns bald wieder“ zu hören glaubte, landeten wir nach 1 ½ Stunden sonniger Rückfahrt sicher am Fährhafen Schlüttsiel an.

Ach so, was unter dem Teppich war? Na, das wird natürlich nicht verraten, da müsst ihr schon selbst nachschauen. Vielleicht plant Helga ja demnächst mal wieder eine Tour dorthin – schön wäre es, und das nicht nur wegen des Teppichs!

Text und Bilder: Barbara Kretzschmar