Natur Natur sein lassen!

Wanderfahrt zum Edersee mit Nationalpark und Urwaldsteig
- 08. bis 15. Mai 2011

 

Wenn Vorfreude und Rückschau auf eine Reise sich emotional decken, dann ist sie gelungen, in allem! Und das können alle 33 Wanderer und Wanderinnen von dieser Wanderfahrt sagen: Die Auswahl des Wandergebiets, der Tagesrouten und des Hotels – bis hin zum Wetter – alles hat gestimmt!
 

Das Waldecker Busunternehmen „Spratte“ holt uns in Kiel ab und wird in der folgenden Woche immer wieder für kleine An- und Rückfahrten in Anspruch genommen. Nach kurzer Einrichtung im Hotel kommen bereits die Wanderstiefel zum Einsatz. Ca. 8 km „zum Anwärmen“ hinauf auf einen hellgrün beschirmten Bergrücken – erste Gelegenheit, unsere norddeutschen Lungen den landschaftlichen Gegebenheiten anzupassen.
 

Unser Quartier ist das Hotel Werbetal in Niederwerbe. Es liegt an einem äußersten Zipfel des Ederstausees, der sich über 27 km Länge dem Flusslauf gemäß in mehreren Schleifen durch die Mittelgebirgslandschaft erstreckt, eingerahmt von Bergen zwischen 400 und 600 m Höhe und Wald – Wald, Wald, Wald, dem Kellerwald, einem der größten zusammenhängenden Wälder Deutschlands (57 qkm): überwiegend Rotbuchen, aber auch knorrige Eichen, Ulmen, Kiefern. Frühlingsgrün, sanfte Linien, Licht und Schattenreflexe auf dem See, teils Grasmatten an den Ufern, meist jedoch das Gestein sichtbar, das die jeweiligen Wasserstände anzeigt – so bietet sich die Symbiose von Wald und Wasser dar – über das Auge finden Schönheit und Ruhe unsere Seele.

Der Verstand fragt natürlich nach dem Warum und Wieso einer künstlichen Stauung. Von 1908 bis 1914 wurde an der schmalsten Stelle eine 400 m lange Staumauer gebaut, um die Wasserstände für die Weserschifffahrt regulieren zu können – die Eder fließt über die Fulda schließlich in die Weser. Drei Dörfer mussten umgesiedelt werden – man stelle sich eine solche Maßnahme heute vor! Aber es gab durch diese Maßnahme nicht nur Vorteile für die Weserschifffahrt, sondern auch die umliegenden Dörfer profitieren inzwischen durch die Einnahmen aus dem Tourismus: Angler, Wanderer, Segler, Camper – sie alle bringen ein bisschen mehr Geld in die Kasse der Nebenerwerbsbauern.

Der Hauptanziehungspunkt bleibt – wie uns beim Wandern deutlich wird – der Wald – der URWALD! Der Wald, der aufgrund seiner steilen Lage teilweise nicht bewirtschaftet werden konnte und somit als urwüchsiger Wald erhalten geblieben ist, und der „neue Urwald“, der Wald im Nationalpark, einem Teil des Naturparks Kellerwald. 

Der Urwaldsteig führt rund um den Stausee – auf unserer ersten ganztägigen Wanderung folgen wir ihm ein Stück und lassen uns bei schönstem Wetter ein auf die bezaubernde Atmosphäre dieses meist bequemen Wanderweges. Eine Rundwanderung von Niederwerbe über Waldeck plus Besuch der Burg Waldeck und zurück ist vorgesehen und mit 15 km angegeben. Der Schatten des Waldes kommt uns der hochsommerlichen Temperaturen wegen sehr entgegen.

 

Durch die Hanglage – linkerhand steil aufsteigend und rechter Hand ebenso steil abfallend - haben wir immer wieder freie Sicht über die liebliche Landschaft! Kurzweilig wird der Weg nicht nur durch die Vielfalt der uns umgebenden Natur im Großen und im Kleinen, sondern insbesondere auch durch das Wissen einiger unserer Mitwanderer. Wer möchte, kann z.B. lernen, den Gesang der Gartengrasmücke von dem Lied der Mönchsgrasmücke zu unterscheiden, und aufmerksam zu werden, wenn der Zilpzalp uns mit seinem Ruf grüßt oder der kleine Fitis singt. Imponierend, dass auch noch so kleine Pflänzchen mit Namen benannt werden können – die Zwiebeltragende Zahnwurz, ein Name, der gefällt und fröhlich geübt wird.

Ein Käfername, der uns zwei Tage später im Nationalparkzentrum begegnen wird, übertrifft dann allerdings diese Beliebtheit: der Veilchenblaue Wurzelhalsschnellkäfer (Limoniscus violaceus, 10 – 12 mm groß, steht auf der Roten Liste und soll im Kellerwald noch zu finden sein, lebt in Höhlen der Rotbuche).

Während einer Trinkpause brummt eine grüngolden schimmernde Käferschönheit um uns herum, der Rosenkäfer – den Namen kann sich jeder merken!

 

Schließlich bringt uns eine kleine Bergbahn mit Zweiergondeln auf die Höhe von ca. 400 Metern, so dass wir bequem die Burg Waldeck erreichen. 1178 wurde sie erstmals urkundlich erwähnt, mit wechselndem Schicksal durch die Jahrhunderte steht sie trutzig und in gutem Zustand auf der Höhe. Uns genügen der Innenhof und der herrliche Blick über das Waldecker Land. Mit einer verzwickten Familiengeschichte, die ins heutige England führt, gibt eine „Geschichtskundige“ dem musealen Ort eine Gegenwartsnote, die uns amüsiert. Und ganz gegenwärtig ist dann auch der Durst, der ,„unten“ wieder angekommen, gepflegt werden kann.

 
 

 

Für die Rundwanderung am kommenden Tag ist eine Aufteilung je nach Interessenlage vorgesehen und überschrieben mit: Naturkundliche Wanderung und Höhenwanderung – zum „Baumgipfelerlebnis“ treffen sich dann alle wieder. Aber vorher gibt’s ein kleines Problem zu lösen: Ein im Bus vergessener Rucksack muss noch fix „eingefangen“ werden! Dank Handy und flexibler Busfahrerin ist das mit einer Viertelstunde Wartezeit erledigt.
 

Der Baumkronenpfad ("TreeTopWalk") führt über eine Holz-Stahl-Konstruktion behindertengerecht (!) bis in Kronenhöhe der Bäume! Hm, das hat sicherlich viel gekostet, was man auch dem Eintrittsgeld entnehmen kann, bringt aber sicherlich ganze Busladungen dort hin, Menschen, die nicht mehr so recht wandern können. Der höchste Punkt bietet eine herrliche Aussicht auf See und Wald, die wir nutzen für ein Picknick.
 

Das letzte Stück unserer Rundwanderung können wir auf einem Schiff genießen – von der Staumauer zur anderen Seite des Sees, wo pünktlich der Bus auf uns wartet.

 

 

Für den folgenden Tag ist der Besuch des Nationalparkzentrums vorgesehen. Ein Teil des Naturparks Kellerwald wurde 2004 zum Nationalpark deklariert und hat seit ein paar Jahren ein aufwendig schönes Gebäude erhalten, das mit vielen spielerischen Möglichkeiten ausgestattet ist, sich zu informieren über das Leben im Wald, über das Werden und Sterben von Getier, Pflanzen und Bäumen, über den Sinn, nicht einzugreifen in das Walten der Natur. Das im Wald verbleibende Totholz z.B. bietet Lebensräume für unzählige Kleintiere, so auch für den schon genannten Veilchenblauen Wurzelhalsschnellkäfer. Ein Vortrag zu Beginn gibt eine Zusammenschau und ein 3D-Film, der auch noch mit einer 4. Dimension aufwartet (Wind ist überraschend zu spüren), ist ein Spaß für Groß und Klein – faszinierend, was Technik kann.

 
 

Nach ausgiebigem Schauen im Haus und einer Stärkung draußen (immer noch scheint die Sonne als Dauerbrenner) je nach Geschmack mit Wildbratwurst und/oder Torte erleben wir den lebendigen Wald dann wieder „in echt“. Was könnten uns die teils 100, sogar 200 Jahre alten Bäume erzählen? Vielleicht muss man nur genau hinhorchen?

 

Mit dem nächsten Tag wird die Halbzeit unserer Wanderfahrt überschritten – eine „Pause“ ist angesagt, dachten sich die Planer: Bad Wildungen bot sich an. Altstadtführung und nach langer Mittagspause eine Führung durch den Kurpark. Hier begegneten wir dann Bäumen, die als weitgereist gelten können. Gingko und Mammutbaum, diese Namen kann man sich merken, weil man sie kennt, andere sind ebenso schön wie beeindruckend auch ohne sie beim Namen zu kennen. Aber einer der besonderen Bäume hatte es allen angetan, der Taschentuchbaum (Davidia involucrata) aus China stammend – er stand in voller Blüte. Der Wind schien wirklich lauter weiße Taschentücher zu bewegen, wunderschön! Was wir dort noch nicht wussten, konnte der Leser der Kieler Nachrichten am 25. Mai erfahren und als großes Foto betrachten: Ein solcher Baum steht in einem Privatgarten in Kiel oder besser gesagt, in dem privaten Park eines Landschaftsarchitekten.
 

Abschließend „wandelten“ wir dann durch die dafür gedachte Wandelhalle und labten uns an dem heilenden Quellwasser. Ein ganzpfiffiger Mensch schöpfte ein wenig in eine eigene Flasche, übergab diese (natürlich alles unter Ausschluss der Öffentlichkeit) einer noch pfiffigeren „Menschin“ – das Ergebnis dieser Aktion sollte am Abschlussabend dann für Überraschung und Heiterkeit sorgen!

 

Ein leichter Regen am Donnerstagabend brachte der dürstenden Natur nur wenig, uns aber am Freitagmorgen einen romantisch durch zarten Nebel verwandelten See. Schnell frühstücken, dachte sich manche/r, um noch ein Weilchen träumend am See zu stehen und auf eine aus den sanft sich hebenden Schwaden auftauchende Fee zu warten? Oder auch nur, um ein schönes Foto im Kasten zu haben?

 

 

Wir starten unseren heutigen Rundweg von Scheid aus: Panoramaweg und Knorreichensteig. Das ist das Schöne an diesem Wandergebiet, immer gibt es beides, Wald und Aussicht.

So schaut das Auge weit und kann sich erneut festsehen an den uralten Eichen, die sich an den steilen Hängen mit ihren dicken knorrigen Wurzeln im Gestein festkrallen. Kundige suchen außerdem nach einer anderen Rarität, der Pfingstnelke, die es hier in den Steinspalten der Grauwackefelsen geben soll. (Wir finden sie erst morgen.) Nach ca. 15 km herrlicher Wanderung erwartet uns in einer Seglerklause Kaffee und Kuchen und schließlich auch wieder der Bus.
 

In einem Nationalpark sorgen Ranger für den Schutz des Waldes und stehen für Führungen zur Verfügung. Uns führt an unserem letzten Wandertag ein ehrenamtlicher Ranger, daran erkennbar, dass er den markanten Rangerhut nicht tragen darf. Auch ohne Hut, aber mit langem Stock zum Aufstützen beim Stehen, wie auch Schäfer sie haben, bringt uns unser Ranger seinen Wald und auch seine Heimat nahe. Deutlich wird seine Liebe zu dem, was er tut.

Obwohl er uns u.a. durch die „Grüne Hölle“ führt, geht niemand verloren – anders als der launige Fährmann, der uns übergesetzt hatte, prophezeit hatte „… besonders Frauen gehen verloren…“. Nein, auch auf die „Gebüschler“ (eine neue Wortschöpfung) wird gewissenhaft gewartet.
Und, wie schon angedeutet, die Pfingstnelke (eine Pflanze der Roten Liste) wird gesichtet, viele Büschel in Felsspalten, einige schon blühend! Freude! Freude auch darüber, dass sie so unzugänglich in den Felsspalten wächst – wer weiß, ob sich ansonsten nicht doch ein paar notorische „Abpflücker“ fänden.
 

Sehr zufrieden erreichen wir unser Hotel nach 15 km Wandern. Da fällt der Dank an die Organisatoren leicht – Wandersocken! Damit’s weiter so gut geht!

 

Ein Blumenquiz für alle und ein (erfundenes) Wildkatzenmärchen bringen Spaß und dann …– ja dann kommt die mitgenommene Heilquelle zum Einsatz – in zwei hübsch verpackten Fläschchen, ergänzt um Mäuseblut und Löwenzahnmilch soll sie unseren Organisatoren - tröpfchenweise genossen - heilsame Erquickung bieten. Mit ein wenig Skepsis wird der erste Tropfen sofort probiert. Nichts passiert! Oder doch?

 

Am Abreisetag immer noch schönes Wetter. Aber in dem kleinen Städtchen Landau, in dem wir für eine Führung angemeldet sind, müssen wir ab und an den Schirm aufspannen. Das tut diesem Kleinod keinen Abbruch. Ein hübsches gepflegtes Ensemble von Fachwerkhäusern auf einem Berg und ein netter Stadtführer.

 

„Unser“ Bus bringt uns sicher wieder gen Norden. Zur Begrüßung in Schleswig-Holstein zeigt sich auf halber Strecke in einem heftigen Schauer ein wunderschöner Regenbogen – nehmen wir ihn als Segenszeichen für unsere Ankunft.

 

 

Bericht: Dörte Vieth

Bilder:

RK - Renate Kunschmann
RoK - Rolf Küchler
WK - Wolfgang Keibel