DIE ENTDECKUNG DER LANGSAMKEIT“

Bericht zur Wanderfahrt vom 10. - 18.07.2012

Nein, der Polarforscher John Franklin war nicht mit dabei unter den 21 Teilnehmern der Wanderfahrt vom 10. bis 18.Juli 2012 ins wunderschöne Schruns. Unser geduldiger Tourenführer Martin Sodtke gab  unserer Wandergruppe nach der Wanderwoche allerdings dasselbe Etikett wie Sten Nadolny seinem Roman. Das lag freilich nicht an Wandermüdigkeit und fehlender Kondition, neinnein! Vielmehr an Soldanella pusilla, Gymnadenia odoratissima,  Delphinium elatum und all den anderen geheimnisvoll farbig geschminkten Schönen, die links und rechts und vor uns  ständig am Wege standen und unsere Blicke anzogen. Und eines kann man nur: gelegentlich mal genauer äugen und auch mal hinfassen  und darum stehen  bleiben, oder schnurstraks Kilometer und Höhen fressen, wie das sportlichen Bergsteigern geziemt. Dafür sind wir ja auch eine eigene, nämlich (nur?)  die Wandergruppe in unserer Sektion. Und mit unserer Gruppe konnten  sogar einige schon über 80-Jährige die Berglagen des „durchlöcherten Berges“ (rätisch Montafon) erleben – Tempo ist eben nicht alles.
 

1. Tag
„Durchlöcherter Berg“ heißt es, weil diese Vorarlberger Alpenregion jahrhundertelangen Bergbau erlebt hat. Erze wurden dort im Berg, lange unter der Regie der Augsburger Fugger, abgebaut, bis nach Entdeckung der Neuen Welt und seiner Schätze die wirtschaftliche Bedeutung des Montafon verloren ging. Im Silbertal ist die alte Bedeutung namengebend geblieben. Die Gondelbahn führte uns hinauf zur „Knappastoba“, deren Seniorwirt sich für uns in die historische Tracht der Bergarbeiter, der „Knappa“ mitsamt hahnenfederstolzer Kappe warf und uns in der nach einem glücklich überstandenen Schachteinsturz gestifteten nahen Kapelle ein Bild von der Geschichte seiner Heimat entwarf. Als eines von zwölf Kindern „derselben Eltern“ hütete er als Zehnjähriger sommers einsam Kühe auf der Alm. Die zum Zeitvertreib mitgegebene Flöte wurde autodidaktisch zur Virtuosität gebracht –  Kostproben, sogar  mit der Nase hervorgelockte Melodien, dieser Kunst und eine glockenreine Gesangsstimme lockerten die Reihen der Geschichtszahlen und der Erze inmitten des barocken Gepränges dieses Kirchleins auf. Wenn wir nicht noch den Rückmarsch nach Schruns, schön höhengleich oder mäßigen Gefälles, vor uns gehabt hätten, säßen wir gern jetzt noch dort. Wettermäßig passte auch alles; als wir im schönen Hotel Messmer zurück waren und im Speisesaal überm 5-gängigen Abendmenü saßen, ging das Gewitter los.


 

2. Tag

Vom Staubecken Latschau führte uns die Gondelbahn zur Bergstation Golm. Bei prächtig werdendem Wetter hinüber zur Latschätzalm und dann hinunter zur Lindauer Hütte mit dem sehenswert reich ausgestatteten Alpengarten. Alpenrosen und Orchideen säumten auch unseren Abstieg durchs Gauertal bis Latschau.

 

3. Tag
Der Frühstücksblick durchs Panoramafenster: Regnerisch, tief wolkenverhangen. Also nicht hinauf wie geplant auf die Wormser Hütte, sondern umdisponieren und ein weniger hochalpines Ziel suchen. Das war aber vorschnell, Tag und Wetter wurden noch wunderschön. Beide erlebten wir abermals im Silbertal. Statt vom gleichnamigen Ort wie am ersten Tag  hinauf mit der Gondelbahn, ging es per pedes stetig  mäßig aufsteigend entlang der immer wilder schäumenden, springenden, tosenden, sich ihren Weg durchs Gefels erkämpfenden  Litz zur „Fellimännle-Alm“, die zur Jause einlud. Der Rückweg auf derselben Route bei jetzt strahlendem Licht verführte, die Photos des Hinwegs nochmal zu schießen. Bunte Paragleiter ließ der Himmel   Pirouetten drehend ins Tal fallen, und diesen seltsamen Vögeln  gegenüber wir auf der Terrasse des Hotels bei Kuchen und Kaffee, Schruns unter, 360 Grad  Bergpanorama rings um uns – welch schöner Ort auf Erden.

4.Tag
Abermals ein Himmel, der uns die Wormser Hütte verwerfen und ein alternatives Ziel ansteuern ließ, nämlich mit dem Bus (dank „Montafon-Karte“ alles inclusive: Bergbahnen, Verkehrsmittel, Maut) zum Speichersee Kops. Vom Alpengasthof „Zeinisjoch“ hinab nach Galtür, Kotzen und Schirme wurden wertvolle Hilfsmittel dieses Wanderns. Im „Alpinarium“ Geologisch-erdgeschichtliches, Historisches, Volkskundliches und vor allem auch die den Ort heimsuchenden Lawinenunglücke veranschaulicht gesehen.  Zurück per Bus über das atemberaubend-schwindelige Ingenieurkunstwerk der Silvretta-Hochalpenstraße.

5. Tag
Ein Teil, die sog. Spaziergängergruppe, steuerte mit Bahn, Bus und Lift den Lüner See und die „Douglashütte“ mit einem Alphornblaswettbewerb, der andere Teil der Gruppe erneut das Silbertal und dort den Höhenweg durch den Muttwald an. Dort fanden wir wunderschön kerzengerade gewachsenen Nadelwald, Blumenpracht, wurden mittels Hinweistafel auf „eines der höchstgelegensten“ (sic!) Hochmoore Europas („1550 Meter“) aufmerksam gemacht und gelangten zum „Hasa Hüsli“. Urgemütlichkeit mit Ofenfeuer, Strudel, Suppe, vielen Mountainbikern mit aberwitzig anmutenden Tagesfernzielen und dem entsprechenden Zuspruch zu Speisen, Getränken und Trockenmöglichkeiten für die „einzige Garnitur“. Zurück wieder entlang der wilden Litz zum Bus.
 

6. Tag
Über Nacht hatte es geschneit, die Höhen waren rings gezuckert und versetzten uns gefühlt gleich tausend Meter höher. Und der Himmel sah gut aus – also jetzt endlich: Wormser Hütte! Kabinenseilbahn, Sessellift, Aussteigen, Schneestapfen. Aber nicht lange und auch nicht eine  Eisausrüstung erfordernd. Die dünne nasse Schicht, deren Schwere Almrausch und Enziane traurig die Köpfe neigen und nach unten blicken ließ, vermochte der Strahlkraft einer nur noch gelegentlich durch Nebelschwaden sich durchkämpfenden Sonne nicht lange zu widerstehen. Das Hochtal unter der Hütte war dann ein einziges leuchtendes Blumenmeer, bald gesellte sich  Alpenvieh an unseren Weg, Gemsen  wurden am Horizont gesichtet, Murmeltiere pfiffen und zeigten sich.
 

Die „Alpe Innerkapell“ wartete mit Senner und zwei BuFDis (im Rentenalter! Aus Württemberg! In Tracht! Jeden Sommer!) und einer üppigen Platte hausgemachter Käsesorten, Würste, Butter und –milch sowie Holundersaft genau auf uns und unseren Appetit. Mäßig steigend, aber mit den genossenen kulinarischen Sünden kämpfend, erreichten wir auf bequemem Weg die Bergstation der Seilbahn und mit deren Hilfe  adlergleich in die Tiefe stürzend  bald ein  in  Abendhitze glühendes Schruns.

 

7. Tag
Abermals mit dem beständig hüftschwingenden Bus über die Silvretta-Hochalpenstraße hinauf zur „Bieler Höhe“, am Stausee vorbei und dann hoch hinauf ins Vermunttal. Prächtige Flora, fleischfressende Alpenfettkräuter und und und. Zum Schluß steiler, Serpentinen, Piz Buin fast frei, noch eine Kehre, dann öffnet sich der Blick aufs Ziel. Die „Wiesbadener Hütte“ liegt urplötzlich zum Greifen vor uns. Riesenhütte, Riesenbetrieb, mit Glück einen gerade freiwerdenden ganzen Tisch für uns alle ergattert. Und was für eine geschwinde und mundfertige Bedienung (slowakische Studentin), die ohne Notizen ca. 15 differenzierte  Bestellungen auf einmal fehlerfrei in die Küche kommunizieren konnte, schneller als online! Viele Bergsteiger und Führer, offenbar ein Eiskurs, um uns herum. Für die Älteren unter uns nochmal Erinnerung an früher aktiv erlebten Hochalpinismus.

 

Zurück in Schruns: Abschiedsabend. Dank an Dietrich Materne für die kundige, geschäftstüchtige und kluge Regie und Planung dieser schönen Fahrtenwoche, Dank an Martins so behutsame wie bestimmte und sichere Führung durchs Gelände, und Dank an die weiteren helfenden Hände, ohne die eine doch größere Gruppe nicht zusammen- und bei Laune zu halten war, stimmten Gespräche und Spiele bei einem Schluck auf Kosten des „Wandereuros“.

Wolfgang, der unsere Wandergruppe diesmal leider nicht begleiten konnte, soll dazu die Auflassung erklärt haben.

 

8. Tag
Für die meisten in der Gruppe per Bahn, für andere individuell mit Auto, ging es zurück nach Kiel bzw. in Anschlußurlaube.


Text:   Erika und Leopold Fuß
Bilder: Martin Sodtke