Tour des Glaciers de la Vanoise

Da wir schon viele Hüttentouren in den Ostalpen unternommen haben, war die Idee, in diesem Jahr mal etwas Unbekanntes in den Westalpen zu erkunden. Erika brachte uns auf den Nationalpark Vanoise. Diese Gebirgsgruppe liegt zwischen Lyon und Turin nahe der italienischen Grenze. Leider gibt es über dieses in Frankreich beliebte Wandergebiet fast keine deutschsprachigen Informationen. Zudem stellten wir bald fest, daß die Seilbahn, von der unsere Tourenempfehlung aus startete, ihren Betrieb bereits Ende August einstellt. Da wir Anfang September fahren wollten, beschafften wir uns Wanderkarten und arbeiteten uns eine eigene Runde aus. Dann konnte das Abenteuer Hüttenbuchung beginnen: Almut und Manfred waren kurz davor der Gruppe zu sagen, daß wir uns ein neues Ziel suchen müssen, aber irgendwie gelang es dann doch, die Hütten in der gewünschten Reihenfolge zu buchen (trotz gegenteiliger Zusage müssen die Hütten doch einzeln gebucht werden). Jetzt musste nur noch die Anreise geklärt werden und dann konnte es losgehen. Ende August fuhren wir mit Zwischenstation in Lörrach nach Lanslebourg-Mont-Cenis. Hier nächtigten wir ein weiteres Mal und testeten abends im Restaurant unsere sehr bescheidenen Kenntnisse der französischen Sprache. (Auf den Hütten fanden wir zum Glück fast immer eine Person, mit der man sich auf Englisch verständigen konnte.)

Aufstieg zum Refuge du Plan du Lac

Am Morgen gab es ein bescheidenes französisches Frühstück (wie leider auch die übrige Zeit). Da die Wolken tief im Tal hingen und wir zwei gesundheitlich angeschlagene Wanderer hatten, entschieden wir uns für eine kürzere Etappe von einem ca. 2000 m hoch gelegenen Parkplatz aus. Mit jedem Schritt, den wir höher stiegen, stiegen auch die Wolken höher und als wir mittags am Refuge du Plan du Lac  ankamen, waren nur noch die Bergspitzen in den Wolken. Bei einem Stück Obstkuchen genossen wir das großartige Panorama. Wir deponierten die Rucksäcke bei der Hütte und stiegen am Nachmittag noch in das Vallon de la Rocheura. Von hier aus hatte man weitere tolle Aussichten.

Refuge du Plan du Lac - Refuge de l’Arpont

Raureif bedeckte am Morgen die Hüttenterrasse. Die erste Stunde war es besonders im Schatten noch sehr kühl. Nach einer Bachüberquerung kamen wir langsam in die Sonne und tauschten Mütze und Handschuhe gegen kurze Hosen. Bei dieser Rast drängte sich uns ein einheimischer Führer in Form eines großen weißen Hundes auf. Er begleitete uns die nächsten zwei Stunden, dann gelang es Almut ihn mit ein paar französischen Worten wieder zurückzuschicken. Mit  toller Aussicht auf den Zentralgipfel des Massivs ging es vorbei an ein paar idyllischen Seen. Im stetigen Auf und Ab ging es über Moränen und ein paar wilde Bäche. Immer wieder hörten wir das Pfeifen der Murmeltiere, die sich vor den Raubvögeln, die am Himmel ihre Bahnen zogen, in Sicherheit brachten. Nach sieben Stunden Wanderung lag dann hinter einer Felsecke plötzlich das Refuge de l’Arpont mit seiner sehr modernen Architektur vor uns. Die großzügige Hüttenterrasse lud zum Entspannen und Genießen der Aussicht ein.

Refuge de l’Arpont - Refuge Plan Sec

Leider ging es einem von uns am Morgen erst einmal nicht so gut. Zusammen mit einem weiteren Gruppenmitglied blieb er noch eine Weile auf der Hütte, während die restliche Gruppe schon einmal losbummelte. Nach anderthalb Stunden hatten die beiden die Gruppe aber wieder eingeholt. An diesem Tag umrundeten wir die Südspitze des Dent Parrachée und konnten auf der gegenüberliegenden Talseite die Berge an der italienischen Grenze sowie das Écrins-Massiv bewundern. Lange Zeit des sonnigen Tages zog sich der Weg auf der Höhenlinie entlang. Auch Edelweiß fand sich auf der Südseite unsers Massivs am Wegesrandw was uns nicht wirklich verwunderte, da das Gestein hier Kalk war. Im Abstieg an den Südhängen des Roc des Corneilles hatte man beeindruckende Tiefblicke. Und dem Wegebau der Franzosen muß man hier einfach großen Respekt zollen, da sie einen wirklich guten Weg in schwierigem Gelände hinbekommen haben. Als wir den Stausee Plan d’ Aval sehen konnten, wussten wir, daß sich diese lange Etappe dem Ende nähert und wir bald das Refuge Plan Sec erreichen würden. Nach dieser Etappe haben wir die kostenlosen warmen Duschen besonders zu schätzen gewußt. Auch Wäsche wurde noch schnell gewaschen. Die Verpflegung auf der Hütte war sehr gut. Zu den angenehmen Überraschungen der Tour gehörte der Käse nach dem Hauptgericht und vor dem Nachtisch, den es hier als zusätzlichen Gang gibt. Es wurde stets Bergkäse aus Savoyen gereicht, der wirklich lecker war. Auf dieser Hütte gab es zum Nachtisch Crème brûlée, die flambiert serviert wurde.

Refuge Plan Sec - Refuge du Fond de l'Aussois

Um nicht zu viele lange Tage hintereinander zu haben, hatten wir uns bereits in Kiel für eine Kurzetappe entschieden. Es sollte an diesem Tag nur bis zum Refuge du Fond de l'Aussois gehen. Um den Weg etwas zu verlängern, fanden wir eine Variante, die den Hauptweg gegen einen kleinen Steig eintauschte. Mario war diese Etappe zu kurz und so stieg er auf den Col de la Masse, um von dort den Petit Rateau zu besteigen. Da er aber am Paß in den Wolken steckte und Schwierigkeiten mit der Wegfindung hatte, kehrte er vernünftigerweise um. Auf dem Rückweg sah er noch ein paar Steinböcke. Die übrige Gruppe nutzte derweil die kostenlosen Duschen und langweilte sich den restlichen Nachmittag in der kühlen Hütte. Abends wurde die Stimmung erst wieder besser als es zum Nachtisch einen Geburtstagskuchen mit Kerzen für Angelika gab. Irgendwie hatte Uwe das sogar ohne Französischkenntnisse organisiert bekommen.

Refuge du Fond de l'Aussois - Refuge du Roc de la Peche

Am Morgen schien zunächst die Sonne. Wir stiegen zügig auf den Col d’Aussois. Auch auf dieser Etappe war der Weg gut angelegt und passte sich dem Gelände hervorragend an. Nach zwei Stunden erreichten wir den Paß; hier wurden die Rucksäcke deponiert und nur mit Kamera bewaffnet erstiegen wir den Pointe de l’Observatoire. Am Paß hatten wir noch Aussicht, auf dem Gipfel waren wir dann in den Wolken (ansonsten hätten wir von hier den Mont Blanc sehen können) und als wir wieder am Paß waren, fing es an zu regnen. Sollte das nicht erst am Nachmittag kommen? Schnell Rucksäcke und Bergwanderer wasserdicht einpacken und hinab ins Tal. Der Abstieg zog sich in die Länge. Zum Glück ließ der Regen wieder nach, aber nirgends war ein gemütliches Pausenplätzchen zu finden. Irgendwann waren wir im Tal angekommen und brauchten bloß noch eine halbe Stunde zum Refuge du Roc de la Peche gehen. Das Refuge war eher ein Gasthof. Während es draußen wieder regnete, konnten wir in aller Ruhe duschen und uns über den ungewohnten Luxus von Heizung und elektrischem Handtuchtrockner freuen. Nach einem gemütlichen Kaffeetrinken mit Crêpes und Tarte wurde die zum Gasthof gehörige Kapelle besichtigt. Das Abendessen war exquisit, aber dieser Gasthof hat auch seinen Preis.

Refuge du Roc de la Peche - Refuge de la Valette

Fast die gesamten Höhenmeter, die wir am Tag vorher abgestiegen waren, mußten wir an diesem Tag wieder aufsteigen. Dafür hatten wir wieder strahlend blauen Himmel. Da machte es nicht einmal viel aus, daß wir morgens noch lange im Schatten gehen mußten. Als wir auf den direkten Zustieg vom Tal stießen, trafen wir den Hüttenwirt, der seine beiden Esel (mit unserem Abendessen?) zügig den Hang hochtrieb. Das Refuge de la Valette wird nämlich mit Eseln versorgt. An der Hütte angekommen sahen wir zum ersten Mal in unserer langen Bergsteigerzeit, wie auf einer Hütte der Schornstein gereinigt wird und daß Matratzen zum Lüften ausgelegt wurden. Da die heutige Etappe nur aus dem rund vierstündigen Aufstieg bestand, verbrachte jeder den sonnigen Nachmittag nach Lust und Laune. Zunächst wurde aber gemeinsam der Hüttengipfel bestiegen. Auf dem fußballfeldgroßen Gipfelplateau wuchsen unzählige Edelweiß. Und, wenn wir es denn gewußt hätten, hätten wir auch von hier aus den Mont Blanc sehen können, der sich aber von hier nur als unbedeutende Kuppe am Horizont zeigt. Anschließend wurde im Bergsee gebadet und eine Hüttenruine besichtigt. Abends gab es reichlich Abendessen, da eine Gruppe Holländer trotz Anmeldung nicht erschienen war und die Hüttenwirtin das Essen großzügig verteilte.

Refuge de la Valette - Refuge du Col de la Vanoise

Da es auf dem Refuge de la Valette nur ein Gemeinschaftslager für alle Gäste und auch nur sehr einfache Sanitäreinrichtungen gab, waren am Morgen alle froh, daß wir früh zur Königsetappe aufbrechen konnten. Bereits nach einer halben Stunde blieben alle fasziniert vom Tiefblick auf Pralognan stehen: hier geht es wirklich über 1000 Höhenmeter senkrecht hinunter. Dazu hat man noch einen tollen Weitblick auf die entfernten Skigebiete von Courchevel. Wir umrundeten danach den markanten Petit Marchet; auch hier war das Gelände steil, so daß der Weg teilweise mit Ketten versichert war. Anschließend ging es durch die idyllische Hochebene Cirque du Grand Marchet, bevor es in vielen Serpentinen zum Paß hinaufging. Dort oben war erst einmal eine frühe Mittagspause angesagt, bevor es auf der anderen Seite steil und teilweise noch leicht schmierig abwärts ging. Hier war äußerste Konzentration erforderlich. Danach wurde der Weg einfacher, es kamen aber auch weiter unten im Abstieg noch Versicherungen und leichte Kletterstellen. Erst im Wiederaufstieg hatten wir wieder einen einfachen Wanderweg, auf dem uns nun am Nachmittag unzählige Sonntagsausflügler entgegenkamen. Wir kamen an den Punkt, wo wir hinter jeder Biegung oder Kuppe die Hütte erwarteten. Aber leider zog es sich doch recht lang hin bis sie dann endlich am Fuß des Grande Casse zu sehen war. Sie war ein schlichter Stahlbeton-Zweck-Bau, dafür aber wieder mit Duschkomfort, was wir sehr begrüßten. Auch das Abendessen war gut und wir inzwischen so schlau geworden, daß man den Weinvorrat für den Abend bereits direkt nach den Essen bestellen muß.

Refuge du Col de la Vanoise - Refuge du Plan du Lac

Am Morgen schreckten wir noch in Hüttennähe ein Rudel Gemsen auf, die wahrscheinlich morgens oft hier ungestört äsen können. Bereits einen Moment später wurde schon wieder angehalten, da hier richtige Baukünstler des Steinmännchenbaus tätig gewesen waren: die teilweise recht filigranen und gewagten Kunstwerke wollten ausgiebig bewundert und fotografiert werden. Im Abstieg hatten wir doch noch tolle Blicke ins eindrucksvolle Vallon de la Leisse. Wir selbst haben noch einen Abstecher ins Vallon de la Rocheura; einige bestiegen den Le Turc. Und wir hatten wieder die fantastischen Ausblicke auf die Glaciers de la Vanoise sowie Grande Casse und Grande Motte. Diese Blicke von der gegenüberliegenden Bergseite sind auf jeden Fall einen Abstecher zumindest auf das Refuge du Plan du Lac wert, wo wir auch diese Nacht wieder verbrachten.

Abstieg vom Refuge du Plan du Lac

Am Morgen ging es bei schönstem Wetter noch einmal über die Hochebene Plan du Lac und vorbei am gleichnamigen See, der mit seinen Spiegelungen alle Fotografen noch einmal auf den Plan rief. Bereits eine Stunde später waren wir wieder bei den Autos angekommen und die zivilisierte Welt hatte uns wieder.

Es waren tolle Tage in faszinierender Landschaft gewesen, die wir bei zwar kühlem, aber fast durchweg gutem Wetter hier verbringen konnten. Wir hatten ständig viel zu schauen, die Landschaft ist weit und offen, das Gelände abwechselungsreich. Bis auf einen Tag ist der Weg leicht und gut ausgebaut, die eine Etappe würden wir als mittelschwer bezeichnen, sollte aber für einen erfahrenen Alpenwanderer kein Problem sein. Auf die zusätzlichen Übernachtungen in Lanslebourg und im Refuge du Fond de l'Aussois kann man verzichten. Es ist eine Tour, die wir auf jeden Fall weiterempfehlen möchten und die auch eine lange Anreise lohnt.

Susanne Bartelt und Kay Ahrend